Palliativmediziner sind entsetztKrankenkassen wollen Medikamente für Todkranke nicht vergüten
Philipp Fischer
19.8.2024
Viele Menschen wollen zu Hause sterben. Palliativmediziner*innen begleiten die Todkranken auf ihrem letzten Weg. Die Sterbebegleiter beklagen, dass wichtige Medikamente zur Schmerzmilderung von Krankenkassen nicht gezahlt werden.
Philipp Fischer
19.08.2024, 04:30
19.08.2024, 08:17
Philipp Fischer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die meisten Menschen möchten zu Hause sterben.
Palliativmediziner kümmern sich um die Bedürfnisse auf dem letzten Weg.
Sie verabreichen starke Medikamente, um die Schmerzen der Patienten zu verhindern.
Wichtige Medikamente zur Schmerzlinderung werden von den Krankenkassen jedoch nicht vergütet.
Die meisten schwerstkranken Patienten haben den Wunsch, zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung zu sterben. Das ist kein leichter Weg für Familien und Angehörige. Palliativmediziner unterstützen Menschen in der letzten Lebensphase.
Die Palliativmedizinerin Monika Jaquenod-Linder tut alles, um ihren Patientinnen und Patienten diesen letzten Wunsch zu erfüllen. Gegenüber der «NZZ am Sonntag» berichtet die engagierte Ärztin von ihrem steten Ringen mit Krankenkassen, die schmerzlindernde Medikamente nicht vergüten wollen. «Wir haben einen enormen administrativen Aufwand, und im schlechtesten Fall bleiben wir auf den Kosten sitzen», so Jaquenod-Linder.
Absurde Hindernisse im letzten Kampf
Sie berichtet von einer 50-jährigen Patientin, die sie vergangenes Jahr in den Tod begleitet hat. Der Frau wucherte ein Tumor auf der Zunge. Sie wurde zu Hause von ihrer Tochter liebevoll betreut. Als sich das Karzinom immer weiter Richtung Rachen und Hals ausbreitete, konnte die Patientin nicht mehr schlucken. Massive Erstickungsängste versetzten die Frau in Panik. Die erfahrene Palliativmedizinerin verabreicht in solchen Fällen das starke Schmerzmittel Palladon intravenös. Das bewährte Medikament lindert die Schmerzen zuverlässig.
«Für mich war das ein glasklarer Fall. Es gab keine Alternativen, und ich konnte nicht länger zusehen, wie die Patientin leidet», so Jaquenod-Linder. Obwohl Palladon auf der Spezialitätenliste des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) steht, weigert sich die Krankenkasse Atupri jedoch, das Präparat zu vergüten. Dabei werden alle Medikamente auf dieser Liste von der obligatorischen Krankenkasse bezahlt.
Fadenscheinige Begründung
Als Begründung führt Atupri auf, dass das Medikament nur in Tablettenform auf der BAG-Liste steht, die intravenöse Form dagegen nicht. Natürlich hätte Jaquenod-Linder ihrer Patientin Palladon gerne in Tablettenform verabreicht. Der Tumor auf der Zunge der Sterbende liess ein Schlucken des Medikaments jedoch nicht mehr zu. Daher spritzte sie ihr das Schmerzmittel. «Das ist ein zugelassenes und von Swissmedic geprüftes Medikament. Einfach als Ampulle steht es nicht auf der Spezialitätenliste», so die Medizinerin.
Dabei ist gerade die intravenöse Form von Palladon ein wichtiges Mittel in der täglichen Arbeit von Palliativmedizinern. Sie müssen in solchen Fällen immer ein Gesuch für Einzelfallvergütung stellen. Lehnt die Krankenkasse das Gesuch ab, muss die Familie oder gar der Palliativmediziner selbst für die Kosten aufkommen. Bei mehrmaliger Anwendung kommt so schnell ein Betrag von mehreren tausend Franken zusammen.
Frau stirbt vor Gesuch-Antwort
Im Fall der von Jaquenod-Linder betreuten Patientin lehnte die Krankenkasse das Gesuch ab. In einer Stellungnahme schreibt die Versicherung der «NZZ am Sonntag», sie sei bereit, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, um die Situation von Menschen in palliativer Pflege zu verbessern. Atupri habe Verständnis für die Anliegen der Mediziner und der betroffenen Patienten, so die Pressestelle weiter.
Für besonderes Unverständnis bei Jaquenod-Linder sorgt eine weitere Ausführung von Atupri. Die Ärztin hätte gemäss der Krankenkasse vor der intravenösen Anwendung von Palladon zuerst ein Finanzierungsgesuch bei der Kasse einreichen müssen. Traurige Ironie: Es dauerte 19 Tage, bis Atupri der Ärztin eine Antwort auf ihre Anfrage zukommen liess. In der Zwischenzeit war ihre Patientin bereits seit mehreren Tagen verstorben.
Kein Einzelfall
Der beschriebene Fall um das intravenöse Medikament bildet keinen Einzelfall bei der Schmerztherapie von Palliativmedizinern. Schon 2022 wurde vom Verband eine ganze Liste von starken Schmerz- und Beruhigungsmitteln beim Bund eingereicht, bei denen immer Probleme bei der Vergütung durch die Krankenkassen entstehen und die häufig von den Kassen nicht gezahlt werden.
Auf Unverständnis stösst besonders, dass diese Medikamente beim Einsatz im Spital via Fallpauschale problemlos bezahlt werden. Bei Sterbepatienten in Pflegeheimen oder zu Hause wird die Finanzierung durch die Kassen dagegen häufig geblockt. Leidtragende sind alle Menschen, die ausserhalb eines Spitals palliativ begleitet werden und die Angehörige, die für die Kosten aufkommen müssen. Dabei spart der Bund durch die Betreuung von Sterbenden in den eigenen vier Wänden erhebliche Kosten. Schliesslich ist es sehr viel teurer, im Spital zu sterben.