Krawalle in St. Gallen Strafrechtler stuft Verbannung von Jugendlichen als legitim ein

Von Julia Käser

6.4.2021

Coronafrust entlädt sich in Gewalt

Coronafrust entlädt sich in Gewalt

In St. Gallen kam es am Karfreitagabend zu Eskalationen. (Video: SRF-News)

06.04.2021

Nachdem es in St. Gallen wiederholt zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, sprach die Polizei Hunderte Wegweisungen aus – für 30 Tage. Ein Strafrechtsexperte hält die Massnahme für angebracht.

Von Julia Käser

6.4.2021

Der Coronafrust wächst. Vor allem die junge Generation ist mit ihrer Geduld langsam am Ende und tut ihren Unmut auf der Strasse kund – einige wenige geben sich dabei äusserst gewaltbereit. So kam es in St. Gallen wiederholt zu Krawallen. 

Nach mehrmaligen Unruhen in der Innenstadt hat die St. Galler Stadtpolizei am Sonntagabend durchgegriffen. Nebst 60 Verhaftungen wurden rund 500 Wegweisungen ausgesprochen – um Krawalle wie am Karfreitag künftig zu verhindern. Die Wegweisungen sind für insgesamt 30 Tage gültig. 

Zuvor hatten Jugendliche via Social Media für den Ostersonntag in St. Gallen zu einer dritten Welle von Gewalt aufgerufen. Dies, nachdem die Situation bereits am Freitagabend mehrmals eskaliert war. Jugendliche griffen Polizisten an und bewarfen die Beamten unter anderem mit Molotowcocktails. Diese antworteten mit Gummischrot, Reizgas und Pfefferspray. 

Öffentliche Sicherheit aufrechterhalten

Dennoch: Über die Verhältnismässigkeit der zahlreichen Wegweisungen am Sonntagabend lässt sich streiten, wie die aktuelle Medienberichterstattung zeigt. Dass Fragen auftauchen, war auch der Stadtpolizei St. Gallen im Vorhinein klar, wie es in einer Mitteilung heisst. 

Aber: Nach wiederholten Gewaltaufrufen und da es «trotz Dialogbereitschaft und anfangs zurückhaltendem Polizeieinsatz bereits zweimal zu massiven Ausschreitungen gekommen ist», erachte man die Massnahme in der gegenwärtigen Situation als verhältnismässig. 

Das sieht auch der Strafrechtsexperte und ehemalige Basler Polizeikommandant Markus Mohler so. «Da es offenbar seit einer Woche wiederholt in sogenannt sozialen Medien zu Gewaltaufrufen in St. Gallen und wiederholt auch an mehreren Tagen zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen ist, kann die Dauer der Frist nicht gleich als unverhältnismässig bezeichnet werden», sagt er zu «blue News».

Andernfalls wiederhole sich das Ganze innert einem kürzeren Zeitraum immer wieder. «Es geht darum, mit einem vertretbaren Aufwand die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten sowie Verletzungen und Sachschäden zu verhindern», so Mohler. 

Missachtung der Wegweisung steht unter Strafe

Wegweisungen, also sogenannte Rayonverbote, kennt man gemäss dem Experten ansonsten vor allem im Zusammenhang mit Hooliganismus-Ausschreitungen. Durchsetzen liessen sie sich mit Personenkontrollen. «Wegweisungen bis längstens einen Monat sind schriftlich zu verfügen – mit der Information über die Folgen der Missachtung.» Heisst: Eine Missachtung wird bestraft. «Das sollte auch präventiv wirken.»

Im Vorfeld der Wegweisungen kündigte die Stapo St. Gallen auf Twitter an, um der Massnahme zu entgehen, müssten Personen glaubhaft erläutern, dass sie weder Gewaltaufrufen folgten, noch nach St. Gallen kämen, um mögliche Ausschreitungen mitzuerleben. Zeit für lange Gespräche habe man aber nicht. 

«Die Massnahmen sind allen bekannt»

Wie Mohler ausführt, ändert das nichts an der Rechtmässigkeit der Wegweisungen. Zum einen habe die Polizei Medienberichten zufolge bei einer ersten Ansammlung die Menge anzusprechen und auf die geltenden Bestimmungen aufmerksam zu machen versucht. Aber: «Dem scheint kein Erfolg beschieden gewesen zu sein. Den Leuten ging es ja gerade darum, durch die Missachtung der Covid-19-Massnahmen dagegen zu protestieren. Die Massnahmen sind allen bekannt.»

Zum anderen sei die Voraussetzung für eine Wegweisung, dass der begründete Verdacht bestehe, dass eine Person oder die Ansammlung der sie zuzurechnen ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde oder störe. «Namentlich Dritte gefährdet, belästigt oder an der bestimmungsgemässen Nutzung des öffentlich zugänglichen Raums hindert», so der Strafrechtsexperte. 

Das sei schon am Karfreitag zweifellos und in erheblichem Umfang der Fall gewesen, sagt Mohler. «Eine persönliche Ansprache, quasi eine Einladung, nun doch den rechtmässig erlassenen Covid-19-Bestimmungen zu folgen, braucht es nicht. Vor dem Gesetz sind alle gleich.»

Arbeit und Schule sind erlaubt

Wer weggewiesen wird, hat 14 Tage Zeit, einen schriftlichen Rekurs gegen die Massnahme einzulegen. Anschliessend muss der Kanton St. Gallen überprüfen, ob das Rayonverbot verhältnismässig ist und kein schwerer Eingriff in die Grundrechte darstellt. Eine aufschiebende Wirkung hat ein solcher Rekurs aber nicht. Das bedeutet: Bis der Kanton entschieden hat, bleibt die Massnahme bestehen.

In der Tat sind in St. Gallen bereits am Montag erste solche Rekurse eingetroffen. Das bestätigte Hans-Rudolf Arta, Generalsekretär des St. Galler Sicherheits- und Justizdepartements, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Und noch etwas hebt er hervor: Die Wegweisungen würden nicht verhindern, dass betroffene Personen sich zwecks Arbeit oder Schule in der Stadt St. Gallen bewegen – sofern für den besagten Zeitraum kein Aufruf zu Gewalt vorliegt.