Tierschützer schlagen Alarm Luchs riss Schafe von SVP-Nationalrat – jetzt wird B903 erschossen

Samuel Walder

9.10.2025

Luchse sind an ihren Pinselohren zu erkennen. (Symbolbild)
Luchse sind an ihren Pinselohren zu erkennen. (Symbolbild)
Daniel Karmann/dpa

Er hat nicht genug Tiere gerissen, um laut Konzept getötet zu werden – und doch ist der Abschuss von Luchs B903 beschlossene Sache. Der Entscheid wirft Fragen auf: über Tierethik, politischen Einfluss und das Machtgefüge im Berner Oberland.

Samuel Walder

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  • Der Berner Luchs B903 darf trotz fehlender gesetzlicher Schwelle für Nutztierrisse abgeschossen werden.
  • Einer der betroffenen Bauern ist SVP-Nationalrat Ernst Wandfluh, während das zuständige Bundesamt Bafu dem ebenfalls aus der Region stammenden SVP-Bundesrat Albert Rösti untersteht.
  • Naturschutzorganisationen warnen vor einem gefährlichen Präzedenzfall, da der Abschuss eines geschützten Tieres ohne klare Grundlage politisch motiviert wirken könne.

Jetzt ist es amtlich: Der Luchs mit der Nummer B903 muss sterben. Der Abschussentscheid für das streng geschützte Raubtier sorgt landesweit für Wirbel – und heizt die Debatte über politischen Einfluss, Tierethik und bäuerliche Interessen weiter an.

Im Berner Amtsblatt wurde die Abschussverfügung öffentlich gemacht – ein regelrechter Schuss, der durch die Schweizer Naturschutzszene hallt. Denn Fakt ist: B903 hat laut eidgenössischem Konzept die kritische Schwelle von zwölf gerissenen Nutztieren gar nicht erreicht. Trotzdem darf der Luchs jetzt von einem Wildhüter zur Strecke gebracht werden.

Ein Luchs – viele Fragen

Wie konnte es so weit kommen? Und warum genau dieser Luchs? Die Spur führt tief ins Herz des Berner Oberlandes – dorthin, wo sich Landwirtschaft, Wildnis und Politik gefährlich nahekommen, wie die «Berner Zeitung» berichtet.

Brisant: Einer der jüngsten Risse ereignete sich auf der Alp Ueschenen – und zwar auf dem Grundstück von SVP-Nationalrat Ernst Wandfluh. Dort soll B903 im August gleich mehrere Schafe gerissen haben. Wandfluh bestätigt den Vorfall gegenüber «Blick» – und gibt zu, sich bei den Behörden für eine Abschussbewilligung «konstruktiv eingesetzt» zu haben. Gespräche mit dem Bundesrat? «Mit Albert Rösti habe ich über den Luchs nicht gesprochen», beteuert er.

Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) – zuständig für die Genehmigung solcher Abschüsse – ist dem SVP-Bundesrat Rösti unterstellt, einem alten Bekannten aus dem gleichen Dorf wie Wandfluh. Und auch Rösti-Bruder Hans ist als langjähriger Präsident der örtlichen Alpgenossenschaft tief in der Region verwurzelt.

Zudem hatte SVP-Nationalrat Thomas Knutti, ein bekennender Gegner von Grossraubtieren, schon Monate zuvor lautstark den Abschuss gefordert. Nach der Genehmigung doppelt er jetzt nach: Der Luchs müsse «schnellstmöglich» erlegt werden.

Offizielle Stellen wiegeln ab

Der Kanton Bern und das Bafu verteidigen den Entscheid. Man habe den Luchs als «spezialisiert auf Nutztiere» eingestuft – was laut Konzept eine Ausnahmebewilligung ermögliche. Trotzdem bleibt der Verdacht: Haben hier politische Netzwerke den Tod eines geschützten Tieres mitentschieden?

Die Stiftung Kora, die Luchse wissenschaftlich beobachtet, kennt das Tier seit Weihnachten 2022. Damals tappte es in Reichenbach im Kandertal in eine Fotofalle. Zunächst war B903 ein unauffälliger Jäger – Rehe und Gämsen standen auf dem Speiseplan. Doch ab Sommer 2025 änderte sich das Bild radikal: Auf der Alp Tschingel riss er innert weniger Tage mehrere Schafe. Weitere Risse folgten – auch im September, als zwei Geissen getötet wurden.

Trotzdem: Die 12-Tiere-Marke, die normalerweise einen Abschuss rechtfertigt, hatte er nicht erreicht. «Eine Ausnahme für einen Ausnahme-Luchs», sagen die Behörden.

Protest aus dem Tierschutzlager

Die Organisation Gruppe Wolf Schweiz übt scharfe Kritik: Der Entscheid sei «hochproblematisch» und schaffe einen «gefährlichen Präzedenzfall», wie die «Berner Zeitung» berichtet. Ein Luchs werde getötet, obwohl er die offizielle Schadensgrenze nicht überschritten habe – das öffne Tür und Tor für politische Willkür.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Schon in den 1990er-Jahren sorgten Luchse für hitzige Debatten. 1999 verzeichnete die Schweiz über 200 Angriffe auf Nutztiere. Ursache damals: Ein Rückgang der Rehbestände zwang die Raubkatzen zur Nahrungssuche auf Bauernhöfen.

Heute sind die Zahlen deutlich tiefer. 2024 fielen schweizweit 112 Nutztiere dem Luchs zum Opfer – 40 davon in den Alpen, 72 im Jura.

Ist B903 nur die Spitze des Eisbergs? «Wir gehen nicht davon aus, dass die Konflikte zunehmen werden», sagt Kora-Geschäftsleiterin Nina Gerber zur «Berner Zeitung». Auch der Kanton sieht aktuell keinen Grund zur Sorge.