Grenzen wieder offen «Wer samstags in Konstanz shoppen geht, ist Schweizer oder ballaballa»

aka/gbi/SDA

15.6.2020 - 16:20

Seit heute dürfen Schweizer wieder nach Deutschland. Diese Möglichkeit haben hiesige Einkaufstouristen auch sofort genutzt – nicht nur zur Freude der Einheimischen ennet der Grenze.

Auf dem Bahnsteig in Konstanz stehen ein paar Männer aus der Schweiz und blicken sich suchend um. «Da ist unser Freund», sagt einer von ihnen. «Ich erkenne ihn an den Augen.» Die Maskenpflicht freut nicht alle Einkaufstouristen. «Es ist sehr heiss unter der Maske», meint ein älterer Mann aus Altnau TG, der mit seiner aus Konstanz stammenden Frau die Bodenseestadt besucht. Aber es sei halt wichtig, sich zu schützen.

Wer am Montag zwischen Kreuzlingen und Konstanz hin und her pendelt, stellt einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Grenzstädten fest: In Konstanz herrscht vielerorts Maskenpflicht. In Kreuzlingen sind Passanten mit Schutzmasken nur ganz vereinzelt anzutreffen.

Am Bahnhofs-Kiosk ist viel los

Im Konstanzer Bahnhofs-Kiosk ist schon seit 6 Uhr morgens viel Betrieb. «Die Schweizer kaufen vor allem Zeitschriften», erzählt der Verkäufer. Medikamente, Drogerieprodukte und Kleider locken Einkaufstouristen ebenfalls nach Konstanz. Ein Trio aus Winterthur, das durch die Gassen schlendert, will den Vorrat an Vitaminen wieder auffüllen.



Der richtig grosse Ansturm indes bleibt aus. Die Parkfelder sind nicht überfüllt. Dennoch: Jedes dritte oder vierte Auto stammt aus der Schweiz, auffällig sind die vielen Zürcher Autokennzeichen. «Es ist ein Wochentag. Die Leute müssen arbeiten», sagt Peter Herrmann, Manager des Lago-Centers in Konstanz, der sich über die Rückkehr zur Normalität freut. Er rechnet mit rund 25'000 bis 28'000 Besuchern. Im «Lago» machen die Einkäufe von Schweizern rund 30 bis 35 Prozent des Umsatzes aus. Zusätzliches Sicherheitspersonal kontrolliert die Mundschutzpflicht und die Zutrittsbeschränkung. 

Geschlossene Grenzen für Basler Läden positiv

Verschieben wir den Schauplatz vom Nordosten der Schweiz in den Nordwesten. Wie sieht die Situation an der Basler Grenze aus? Hier herrscht Freude – jedenfalls auf politischer Ebene. Behördenvertreter aus der trinationalen Region Basel feiern am Morgen das Ende der dreimonatigen Grenzschliessung. Für die Basler Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann ist der Anlass «ein starkes Zeichen gegenseitiger Wertschätzung».



Das Lebensgefühl des Dreiländerecks habe ihr in den vergangenen Monaten schmerzlich gefehlt, sagt Ackermann an der Feier auf der Dreiländerbrücke zwischen dem deutschen Weil am Rhein und dem französischen Huningue. Für sie steht fest: Durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit müsse nun eine weitere Grenzschliessung verhindert werden.

Für das Gewerbe in Basel dagegen hatte die Zeit der Grenzschliessung auch etwas Positives: Die Entwicklung – sowohl was Umsatz wie auch die Frequenzen betreffe – sei seit dem 11. Mai sehr erfreulich gewesen, sagt Mathias Böhm, Geschäftsführer von Pro Innerstadt Basel zu «Bluewin». Ab dann durften Läden und Restaurants wieder öffnen. In dem Verein sind unter anderem städtische Detaillisten, Gastronomen und Dienstleister vertreten.



«Wie es nun weitergeht, können wir nicht voraussehen», so Böhm. Man erwarte und hoffe aber darauf, dass auch nach der Grenzöffnung ein gestärktes Bewusstsein für das Lokale bleibe.

«Nichts gegen Schweizer, aber ...»

Doch jede Medaille hat zwei Seiten. Wie haben die Einheimischen in Konstanz die letzten Wochen ohne Schweizer Einkaufstouristen erlebt? «Ruhig» sei es gewesen, sagt Alexander* zu «Bluewin», «kein Stau an der Kasse wegen grüner Ausfuhrzettel.» Auch die Luft in der Stadt sei wohl sauberer gewesen wegen des geringeren Verkehrsaufkommens.

Die Rückkehr der Schweizer sieht er dennoch gelassen – man hat sich ja mit der Situation arrangiert. «Wer samstags in Konstanz in der Innenstadt shoppen geht, ist entweder Schweizer oder komplett ballaballa», so Alexander. «Nichts gegen Schweizer, die in Konstanz ein Schnäppchen machen wollen, aber als Einheimischer kann man sich den Trubel fast nicht mehr geben.»

Auch Dani* freut sich zwar, dass weniger Trubel in den Geschäften herrschte. Da in ihrem Haushalt ein Risikopatient lebe, sei ihr das zupass gekommen. Da sie aber früher selbst einen Laden in der Stadt geführt habe, könne sie die Folgen für das lokale Gewerbe nicht ausblenden. Wenn die Schweizer Kundschaft fehle, sei das «eine Katastrophe». Zwar würden die Konstanzer gerne über die südlichen Nachbarn meckern, doch wäre man ohne Schweizer wirtschaftlich ganz schön aufgeschmissen.

«Die Bilder vom Grenzzaun haben echt wehgetan»

Durch die Corona-Pandemie waren nicht nur Einkaufstouristen am Grenzübertritt gehindert worden, sondern auch viele Familien und Paare auf beiden Seiten der Grenze getrennt worden. Mitte März war ein Grenzzaun zwischen Konstanz und Kreuzlingen aufgestellt worden.

Was Alexander und Dani besonders freut: dass der Zaun zwischen Konstanz und Kreuzlingen wieder verschwunden ist. «Die Bilder vom ruckzuck wieder hochgezogenen Grenzzaun haben echt wehgetan», sagt Dani. «Die europäische Idee krepiert da einfach vor deiner Nase, das fand ich sehr traurig.» Alexander sieht das ähnlich: «Wir leben im Jahr 2020 und nicht Prä-1989 mit Grenzen zur DDR.» Es gehe ja nicht nur um das Einkaufen, er hätte zum Beispiel auch nicht mehr nach Kreuzlingen in den Park reisen können.

*Die Namen sind der Redaktion bekannt.

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