Kritik an «vorläufiger Aufnahme»«Schweiz wird sich für den Umgang mit Kindern im Asylbereich entschuldigen»
SDA/dor
19.9.2023 - 05:18
Die Schweiz wird sich laut dem Chef der Schweizer Migrationskommission in der Zukunft für ihren Umgang mit Kindern im Asylbereich entschuldigen müssen – wie das etwa bei Verding- und Heimkindern der Fall war.
19.09.2023, 05:18
19.09.2023, 05:42
SDA/dor
Auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen wird im Schweizer Asylbereich keine Rücksicht genommen, sagte Walter Leimgruber, Präsident der Eidgenössischen Migrationskommission, in einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit Tamedia. «Die ‹vorläufige Aufnahme› ist ein überholtes Konzept», sagte Leimgruber.
Es sei leider so, dass nicht nur im Asylbereich auf Kinder wenig Rücksicht genommen werde. Es gebe viele Beispiele, bei denen sich die Schweiz im Nachhinein entschuldigen musste, etwa bei den Verding- und Heimkindern. «Bei Auseinandersetzungen um die richtige Politik zahlen die Kinder immer den höchsten Preis», sagte Leimgruber weiter. Das dürfe nicht sein. Er sei sich sicher: «Mit etwas Abstand werden wir uns auch für unseren Umgang mit Kindern im Asylbereich entschuldigen.»
Nötig sei ein Schutzstatus wie jener für die Menschen aus der Ukraine: Zeitlich begrenzt, aber mit definierten Regeln, damit die Betroffenen möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen könnten. Er vermisse aber ein kohärente Politik für einen konstruktiven Umgang mit Migration, die in der Zukunft noch zunehmen werde, sagte Leimgruber.
Es sollten klare Ausbildungs- und Beschäftigungsstrukturen geschaffen werden. «Während die Asylverfahren noch laufen, braucht es Schule, Beschäftigungsprogramme, aber auch vielfältige Kontakte mit der Gesellschaft, in Vereinen etwa», sagte Leimgruber. Danach müssten sie ohne lange Unterbrüche in die Ausbildung gelangen können. «Wir sind mit der Integrationsagenda Schweiz auf dem richtigen Weg. Aber sie muss für alle zur Anwendung kommen.»
Die Verhältnisse und Betreuungspersonen für Kinder im Asylbereich wechselten ständig, so Leimgruber. «Diese brauchen aber Konstanz, Vertrautheit, Bezugspersonen, sonst kommt es zu Entwicklungsstörungen mit grossen Folgekosten für die Gesellschaft.» Besonders schutzbedürftig seien die unbegleiteten Minderjährigen (UMA). «Leider, und das spüren die Jugendlichen, interessiert sich kein Mensch dafür, ob sie noch da sind oder nicht. Damit nehmen wir den Schutzauftrag der Uno-Kinderrechtskonvention nicht wahr.»
Leimgruber plädierte dafür, durch das sogenannte Resettlement mehr besonders vulnerable Personen direkt aus Flüchtlingscamps aufzunehmen. Dazu könnte das humanitäre Visum stärker genutzt und das Botschaftsasyl wieder eingeführt werden. «Wir müssen aber auch grundlegender darüber nachdenken, ob wir nicht andere Angebote an die betroffenen Länder machen, nämlich an Arbeitskräfte und Auszubildende, die wir ja dringend benötigen», sagte Leimgruber.
Dazu sollen Familien und Einzelpersonen separat untergebracht werden, sagte Leimgruber. «Asylzentren funktionieren wie Kasernen. Und Kasernen sind nicht kinderfreundlich. Da stehen uniformierte Wächter, was Kindern aus Kriegsgebieten Angst macht.» Diese würden von den Sicherheitsleuten auch kontrolliert wie die Erwachsenen. «Ihnen werden dann etwa die Malstifte weggenommen, weil es potenzielle Waffen sein könnten», führte Leimgruber aus.