Start für Migros-ProjektPlastikrecycling – mehr als nur eine «Scheinlösung»?
Von Gil Bieler
29.6.2020
Die Migros wollte heute in den ersten Filialen ihr Plastikrecycling-Projekt starten. Greenpeace sieht dieses äusserst skeptisch, das Bundesamt für Umwelt positiv – fordert aber viel Transparenz.
Anders als bei Karton, Glas oder Papier kennt die Schweiz kein flächendeckendes Recyclingsystem für Plastik. Wieso eigentlich? Beim Bundesamt für Umwelt (Bafu) verweist man auf Anfrage auf die in den 1990er-Jahren eingeführte PET-Sammlung und die in den letzten Jahren im Detailhandel dazugekommenen Sammelstellen für PET-Flaschen mit Deckel, etwa für Milch- und Shampoo-Flaschen. «Dies entspricht dem Grundgedanken, dass Wirtschaft und Handel auf Basis von freiwilligen Massnahmen wirksame Sammelsysteme aufbauen.»
Start verschoben
Aus dem gross angekündigten Start des Recyclingprojekts in der Zentralschweiz wurde doch nichts: Die Migros hat diesen auf unbekannte Zeit verschoben, wie die Migros Luzern am Montag mitteilte. Ein Grund für diesen Schritt wurde nicht genannt.
Was Plastik angeht, unternimmt die Migros heute einen solchen Schritt: Der Detailhändler stösst ein Recyclingprojekt für Plastikverpackungen an. Vorerst in 30 Filialen in der Zentralschweiz können Kundinnen und Kunden spezielle Sammelsäcke kaufen, die sie daheim mit Plastikverpackungen füllen und in der Migros retournieren können.
Bei Partnerfirmen wird das Sammelgut sortiert und aus den verwertbaren Kunststoffsorten werden Regranulate, die wieder zu Verpackungen für die Migros-Industrie verarbeitet werden. Bis zum Frühjahr 2021 soll das System schweizweit eingeführt werden, wie der Detailhändler bekannt gab.
Eine gute Sache für den Umweltschutz, sollte man denken. Doch Greenpeace steht dem Projekt «äusserst kritisch gegenüber». Die Migros biete nur «eine Scheinlösung» an, erläutert Philipp Rohrer, Experte für Abfallvermeidung bei der NGO, gegenüber «Bluewin».
«Die Migros kommt mit diesem Angebot wohl primär einem Kundenwunsch nach und präsentiert eine Lösung, deren ökologischer Nutzen fragwürdig ist», erklärt Rohrer. Der Grund: Die meisten Kunststoffarten liessen sich nicht mehrfach in guter Qualität wiederverwerten, gerade für Lebensmittelverpackungen gälten diesbezüglich sehr hohe Anforderungen.
Und Rohrer sieht noch ein weiteres Problem: «Die Leute erhalten so das Gefühl, das Problem mit dem Plastik wäre gelöst, und machen sich dadurch weniger Gedanken über Nachhaltigkeit.» Schlimmstenfalls könnte das Recycling also dazu führen, dass sogar mehr Plastikverpackungen im Einkaufswagen landeten. Stattdessen wünscht man sich bei Greenpeace, dass die Detailhändler vermehrt auf Mehrweggebinde oder unverpackte Lebensmittel setzen würden.
Für Lebensmittel reicht es nicht
Migros-Mediensprecher Patrick Stöpper hat bis zu einem gewissen Grad Verständnis für die Kritik, hält aber fest: Die Migros gehe das Plastik- und Verpackungsproblem ganzheitlich an. «Verpackungsmaterial bereits an der Quelle zu reduzieren, ist neben der Kreislaufschliessung unser erklärtes Hauptziel», sagt Stöpper auf Anfrage. So reduziere man Plastikverpackungen wo immer möglich. Als Beispiele nennt er «die Befreiung von gewissen Biofrüchten und gewissem Biogemüse».
Dass sich das rezyklierte Plastik nicht für Lebensmittel eignet, bestätigt Stöpper. «So weit ist man noch nicht.» Aber das Ziel sei es, in Zukunft für Produkte aus der Eigenproduktion auch Verpackungen aus Recycling-Material herstellen zu lassen.
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Ausserdem verweist er auf die Bestrebungen, Mehrweg-Verpackungen zu fördern: Mehrwegschalen im Take-away-Bereich, wiederverwendbare «Veggie Bags» sowie die Möglichkeit, Fleisch und Käse an der Theke in eigene Behälter abzufüllen. Solche Lösungen wolle man auch weiter ausbauen.
Zig Arten von Kunststoff
Das erklärte Ziel der Migros ist es, dass dereinst 70 Prozent des gesammelten Kunststoffs wiederverwertet werden können. Ein ambitioniertes Ziel: Beim Bundesamt für Umwelt (Bafu) geht man davon aus, dass nur gut die Hälfte des Kunststoffs, der mittels solcher gemischter Sammelsäcke zusammengetragen wird, rezyklierbar ist, wie es auf Anfrage heisst – wobei dieser Wert schwanken könne.
Dies liege zum einen an der grossen Anzahl an verschiedenen Arten von Kunststoffen und Zusatzstoffen. Denn nicht für alle Kunststoffe gebe es ein Recyclingverfahren, für manche lohne sich die Wiederaufbereitung aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht.
Zum anderen führten Fremdstoffe und starke Verschmutzung der gesammelten Kunststoffe zu einer Verminderung der verwertbaren Menge und der Qualität. Hierfür wäre ein sehr grosser Aufbereitungsaufwand in Form von Energie, Wasser und Chemikalien nötig.
Dennoch entspreche eine Recyclingquote von mindestens 70 Prozent einer gemeinsamen Haltung, die Bafu, Kantone, Städte und Gemeinden 2017 formuliert haben: Dieser Wert solle «als Voraussetzung für eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Kunststoffsammlung» angestrebt werden.
Bafu fordert Transparenz
Beim Bafu begrüsst man das Projekt der Migros denn auch. Man erwarte jedoch, dass der Detailhändler Daten zu den Sammelmengen, der Zusammensetzung und Herkunft des Sammelgutes sowie die Verwertungswege offenlege. Ausserdem sollten die Kosten für Sammlung, Transport, Verwertung und Entsorgung der Restfraktionen – also jenen Materialien, die nicht rezykliert werden können – transparent gemacht werden.
Positiv sieht man insbesondere Pläne der Migros, gemeinsam mit Recyclingpartnern ein modernes Sortierwerk für gemischtes Plastikmaterial in der Schweiz zu realisieren: Dies «wäre ein grosser Schritt, damit die Kunststoffabfälle ganz in der Schweiz behandelt werden könnten», heisst es beim Bafu.
Gemäss einer Erhebung aus dem Jahr 2010 verbrauchen Schweizerinnen und Schweizer 125 Kilogramm Kunststoffe pro Kopf und Jahr. Mit 80'000 Tonnen rezykliertem Kunststoff pro Jahr ergebe dies 10 Kilogramm rezyklierten Kunststoff pro Kopf und Jahr – unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahlen von 2010.
Zur Frage, weshalb es in der Schweiz noch kein landesweites Recyclingsystem für Plastik gibt, ergänzt das Bafu ausserdem: Der Bund brauche einen Auftrag seitens der Politik, um eine flächendeckende Sammelpflicht für weitere Kunststoffarten einzuführen. Zurzeit sind diverse parlamentarische Vorstösse in dieser Hinsicht eingereicht, jedoch noch nicht vom Parlament behandelt worden.