Attentate in der Schweiz? Asylsuchender steht als mutmasslicher IS-Helfer vor Gericht

SDA/dor

8.9.2020 - 05:04

Der Prozess gegen den 52-jährigen Beschuldigten findet am Bundesstrafgericht in Bellinzona statt. (Archivbild)
Der Prozess gegen den 52-jährigen Beschuldigten findet am Bundesstrafgericht in Bellinzona statt. (Archivbild)
Source: Keystone/Pablo Gianinazzi

Ein Iraker, der 2017 in einer Thurgauer Asylunterkunft verhaftet wurde, muss sich vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona für IS-Unterstützung verantworten. Er soll auch Anweisungen zur Vorbereitung eines Anschlags in der Schweiz erhalten haben.

Ein mutmassliches Mitglied der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aus der Schweiz soll zu Selbstmordanschlägen aufgerufen und Terroranschläge geplant haben. Nun muss sich der Mann vor Gericht verantworten. Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, dass der Beschuldigte wahrscheinlich ab 2014, «spätestens aber ab Mitte 2016 ein von der Schweiz aus operierendes Mitglied der verbotenen terroristischen Organisation Islamischer Staat (IS) war».

So steht es in der 98-seitigen Anklageschrift des am heutigen Dienstag beginnenden Bundesstrafgerichtsprozesses in Bellinzona.

Verhaftet wurde der Beschuldigte, der offenbar seit 1998 in der Schweiz lebte, am 11. Mai 2017 in der Asylunterkunft der Gemeinde Eschlikon TG, nachdem er zuvor über Monate observiert und abgehört worden war. Seither sitzt er in Untersuchungs- beziehungsweise Sicherheitshaft.

Die Anklageschrift enthält etliche Transkriptionen von Chats und Nachrichten, die er über Social-Media-Kanäle verschickte. Sieben Handys beschlagnahmten die Ermittler, die überzeugt sind, dass er sich physisch zum IS begeben hätte, um dort unter Einsatz des eigenen Lebens gewaltsam zu kämpfen, sobald sein Aufenthalt in der Schweiz nicht mehr als opportun erachtet worden wäre.



Anstiftung zu Selbstmordanschlag

Die Bundesanwaltschaft legt ihm zur Last, zahlreiche Aktivitäten zugunsten des IS entfaltet zu haben, darunter die Anstiftung zu einem Selbstmordattentat im Namen des IS, die wiederholte Finanzierung des IS mit einem Gesamtbetrag von rund 17'000 Franken, die Rekrutierung und Schleusung zum IS von mehreren Personen sowie die zustimmende Entgegennahme der Anweisung eines IS-Führungsmitglieds zur Vorbereitung von terroristischen Anschlägen in der Schweiz.

Gravierend schliesslich ist der Vorwurf des Herstellens und Lagerns von Gewaltdarstellungen, darunter etliche grausame Videos aus dem IS-Umfeld. Weiter wird der Angeklagte des Sozialhilfebetrugs sowie das Autofahrens trotz Führerausweisentzugs beschuldigt.

Viel Raum widmet die Bundesanwaltschaft den Beziehungen des Beschuldigten zu einer Frau im Libanon, die er über Facebook kennengelernt und im August 2016 nach islamischen Recht per Videotelefonie geheiratet hatte. Zur Trauung zog er damals Aita Eglil, den Imam der Moschee «An ‘Nur» in Winterthur bei, welche er «die Moschee der Terroristen» nannte, «die den Feinden Gottes Angst einjage».

Dokumentiert wird eine Unterhaltung mit der frisch Vermählten, in welcher er sie in ihrer Absicht bestärkte, einen Selbstmordanschlag im Namen des IS auf ein noch nicht näher bestimmtes Ziel im Libanon oder anderswo, entweder auf US-Streitkräfte oder Truppen des libanesischen Militärs zu begehen. Die Frau wurde am 2.Mai 2017 durch libanesische Streitkräfte verhaftet.

Nur wenige Zeilen fällt der Anklagepunkt zur «Vorbereitung von terroristischen Anschlägen in der Schweiz» aus. Demnach wurde der Beschuldigte von einem IS-Führungsmitglied am 14.April 2017 in einer Sprachnachricht angewiesen, «dort andere Sachen vorzubereiten, um Gottes Zufriedenheit zu erlangen und die Scharia durchzusetzen.» Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, dass mit «dort» die Schweiz, sein Aufenthaltsort, gemeint sei.



Angeklagter bestreitet Vorwürfe

Der Beschuldigte bestreitet und dementiert laut seinem Pflichtverteidiger Sascha Schürch die Hauptanklagepunkte der Anklageschrift und damit seine Rolle im IS. Er sei einzig in einigen Nebenpunkten geständig, sagte Schürch gegenüber Keystone-SDA.

In Bezug auf die lange Untersuchungshaft von mehr als drei Jahren bestätigt Schürch, dass es keine Haftentlassungsgesuche gegeben habe. Die Verteidigung habe das Verfahren nicht weiter verlängern wollen.

Die Hauptverhandlung, bei der die Bundesanwaltschaft ihre Strafanträge stellen wird, ist vorerst auf drei Tage angesetzt. Für die Eröffnung des Urteils ist noch kein Datum festgelegt. Allein für das Vorverfahren sind Kosten in Höhe von knapp 700'000 Franken entstanden.

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