Nationalrat fordert Waffenstillstand Emotionale Debatte zum Krieg in der Ukraine

su, sda

28.2.2022 - 21:00

Eröffnung der Frühjahrssession mit einer Schweigeminute

Eröffnung der Frühjahrssession mit einer Schweigeminute

Nationalratspräsidentin Irèn Kälin (Grüne) eröffnete die Frühjahrssession mit einer Schweigeminute für die Ukraine. «Mögen wir klare Worte finden für die Ungeheuerlichkeit, dass Russland internationales Völkerrecht nicht nur mit Füssen tritt, sondern mit Waffengewalt aus dem Weg räumt.»

28.02.2022

Nach einer emotionalen Debatte hat der Nationalrat einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine gefordert. Teile der SVP-Fraktion lehnten die Erklärung ab.

Keystone-SDA, su, sda

Der Nationalrat fordert einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine. Er verabschiedete zu Beginn der Frühjahrssession am Montag eine entsprechende Erklärung, gegen den Willen eines Teils der SVP-Fraktion.

Die Debatte, die der ukrainische Botschafter Artem Rybchenko und ein Begleiter von der Tribüne im Nationalratssaal mitverfolgten, war emotional. Wiederholt wurde nach Voten applaudiert, und auch die Vertreter der Ukraine erhielten Applaus.

Die von der Staatspolitischen Kommission (SPK-N) beantragte Erklärung verabschiedete der Nationalrat mit 147 zu 41 Stimmen und bei acht Enthaltungen. Die Enthaltungen und die Nein-Stimmen kamen aus der SVP-Fraktion.

Der Nationalrat fordert in seiner Erklärung von der politischen und militärischen Führung Russlands und allen anderen Konfliktparteien einen sofortigen Waffenstillstand.

Tiana Angelina Moser, GLP-ZH, spricht im Nationalrat zum Krieg in der Ukraine.
Tiana Angelina Moser, GLP-ZH, spricht im Nationalrat zum Krieg in der Ukraine.
KEYSTONE/Alessandro della Valle

«Völkerrechtswidriger Angriffskrieg»

Den «völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der politischen und militärischen Führung Russlands gegen die Ukraine» verurteilt der Nationalrat «aufs Schärfste». Die Konfliktparteien und insbesondere Russland werden aufgerufen, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren.

Den Bundesrat fordert der Nationalrat auf, sich «autonom und konsequent» den Sanktionen der EU gegen Russland anzuschliessen, wie SPK-N-Sprecher Marco Romano (Mitte/TI) sagte. Diesen Schritt hatte die Landesregierung an einer ausserordentlichen Sitzung unmittelbar vor der Nationalratsdebatte am Montag beschlossen und bekanntgegeben.

Der Nationalrat zeigt sich bestürzt über das menschliche Leid durch den Krieg. Den Menschen in der Ukraine sichert der Nationalrat seine Solidarität zu. Er fordert in der Erklärung zudem, das Land mit humanitärer Hilfe zu unterstützen.

Er will sich mit der internationalen Staatengemeinschaft für einen baldigen Frieden in der Ukraine einsetzen. Ein «unilateraler Angriffskrieg» dürfe nie Mittel der Politik sein. Ein solcher Angriff sei eines im 21. Jahrhundert agierenden Staates «unwürdig», hiess es im Papier weiter.

Der Nationalrat kann Erklärungen abgeben auf Antrag einer Kommissionsmehrheit, um gerade bei aussenpolitischen Ereignissen Gefühlen breiter Kreise Ausdruck zu verleihen und wenn die Bevölkerung eine Stellungnahme erwarte, wie Romano sagte.

Vermittlungsdienste für alle offen halten

Gregor Rutz (SVP/ZH) beantragte namens der SVP, auf die Erklärung verzichten. Auch die SVP wünsche sich einen Waffenstillstand und Frieden, sagte er. Doch es gehe um die Frage, wie die Schweiz wirkungsvoll dazu beitragen könne, diesen Krieg zu beenden und nicht darum, «sich hinter Guten Diensten zu verstecken».

Die Vermittlungsdienste der Schweiz müssten allen Konfliktparteien offen bleiben, doppelte Thomas Aeschi (SVP/ZG) nach. Er kritisierte die Schweizer Kandidatur für den Uno-Sicherheitsrat. Als dessen Mitglied könne die Schweiz nicht neutral bleiben.

Alle anderen Fraktionen stellten sich hinter die Erklärung. Den Entscheid des Bundesrates vor der Ratsdebatte, dass die Schweiz sich den Sanktionen der EU anschliesst, begrüssten mehrere Votanten. Umgekehrt kritisierten sie aber auch, dass der Bundesrat den Schritt erst am Montag getan hatte.

Vier Tage habe sich die Landesregierung Zeit gelassen für diesen wichtigen Entscheid, kritisierte Mattea Meyer (SP/ZH). In dieser Zeit hätten die Oligarchen Zeit gehabt, ihre Werte in Sicherheit zu bringen. Als wichtigste Rohstoff- und Finanzdrehscheibe für Russland sei die Schweiz verpflichtet, die EU-Sanktionen zu übernehmen.

«Welt ist eine andere geworden»

«Unsere Welt ist mit dem Einmarsch in die Ukraine eine andere geworden», sagte Tiana Angelina Moser (GLP/ZH). Während sich das Parlament Alltagsfragen widme, rollten Panzer durch Kiew und stünden Menschen in der Ukraine Todesängste aus.

Es sei schwierig, den eigenen Kindern einen Krieg in Europa zu erklären, berichtete Aline Trede (Grüne/BE). Und: «Auch einige von uns haben Angehörige und Freunde in der Ukraine.» Jetzt sei die Zeit, die Massnahmen der internationalen Gemeinschaft mitzutragen, forderte Andri Silberschmidt (FDP/ZH). Die Zeiten für die Guten Dienste der Schweiz würden zurückkommen.

Gerhard Pfister (Mitte/ZG) erinnerte an den Ungarn-Aufstand 1956 und die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Damals sei die Schweiz dem russischen Aggressor klar entgegengetreten. Wie Ungarn und der damaligen Tschechoslowakei müsse der Bundesrat nun auch der Ukraine beistehen, forderte Pfister.