Reformpläne Asylpakt der EU könnte eine Volksabstimmung nötig machen

tsha

3.8.2020

Flüchtlinge auf einem Schiff, das die Insel Lesbos verlässt: Die EU arbeitet derzeit an einer Reform des Dublin-Systems.
Flüchtlinge auf einem Schiff, das die Insel Lesbos verlässt: Die EU arbeitet derzeit an einer Reform des Dublin-Systems.

Das Asylsystem der EU ist längst an seine Grenzen gestossen. Eine Reform würde sich auch auf die Schweiz auswirken – bis hin zu einem möglichen Referendum.

Die EU ist sich derzeit bei vielen Themen uneins. Wie soll die Staatengemeinschaft mit dem Vorgehen von China in Hongkong umgehen? Wie mit den autoritären Bestrebungen einiger osteuropäischer Regierungschefs? Hauptstreitpunkt ist aber noch immer die Asylpolitik.

Seitdem sich Hunderttausende Menschen im Jahr 2015 in Richtung Europäische Union aufgemacht hatten, um in Europa ein Leben in Sicherheit und Wohlstand zu führen, spaltet die Flüchtlingsfrage die Mitgliedsstaaten wie keine zweite. Demnächst könnte die europäische Asylpolitik einmal mehr auch die Schweiz erreichen – und hierzulande sogar zu einer neuen Volksabstimmung führen.

Denn ein neuer europäischer «Pakt für Migration und Asyl» könnte die derzeit bestehende Dublin-Verordnung derart stark verändern, dass das Schweizer Stimmvolk darüber entscheiden müsste. Das berichten Medientitel der CH Media.



Seit Anfang 2014 regelt die dritte Dublin-Verordnung, welcher Mitgliedsstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Auch die Schweiz und Liechtenstein sind Teil von Dublin III und damit des gemeinsamen europäischen Asylsystems.

Ein System, das allerdings längst an seine Grenzen gestossen ist. Denn das Prinzip, nach dem jener Staat für das Asylverfahren verantwortlich ist, auf dessen Gebiet ein Flüchtling erstmals europäischen Boden betreten hat, ist in der Praxis kaum mehr durchführbar. Die Mittelmeerstaaten Malta, Griechenland, Italien und Spanien tragen dadurch die Hauptlast der Verfahren.

Beschleunigte Verfahren

Vor allem die osteuropäischen Mitgliedsstaaten hatten sich in den letzten Jahren immer wieder geweigert, Flüchtlinge aufzunehmen, während sich die Mittelmeeranrainer überlastet und alleingelassen fühlten. Die Konsequenz: teils verheerende Zuständen in vielen Flüchtlingslagern, etwa auf der griechischen Insel Lesbos. Der Reformvorschlag, der nun auf dem Tisch liegt, sieht deshalb ein anderes Verfahren vor. Demnach sollen alle EU-Staaten gemeinsam die Lasten der Asylverfahren schultern. 

Eines der Kernstücke der neuen EU-Asylreform sollen beschleunigte Verfahren sein. In einem Entwurf vom April werden deshalb Vorabverfahren vorgeschlagen: Beamte des Europäischen Asylbüros und der Grenzschutzagentur Frontex sollen direkt an den Aussengrenzen der EU entscheiden, ob ein Asylsuchender überhaupt eine Chance auf Asyl in der EU hat. Im Falle einer negativen Einschätzung wird der Person eine Einreise in die Staatengemeinschaft verweigert.

Viel Zündstoff

Umstritten ist allerdings, wo diese Verfahrenszentren eingerichtet werden. Schon jetzt ist klar, dass wohl kaum ein Mitgliedsstaat ein derartiges Zentrum an seiner Aussengrenze wird einrichten wollen.

Fraglich ist auch, ob Transit- oder Herkunftsländer Asylbewerber mit negativem Bescheid zurücknehmen werden. Ausserdem muss Frontex nach einem Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs zum Coronahilfspaket in Zukunft mit deutlich weniger Geld auskommen.

Hauptknackpunkt der Reform dürfte aber die Weigerung von Staaten wie Ungarn und Polen sein, überhaupt mehr Flüchtlinge aufzunehmen.

Sollte die Reform dennoch zustande kommen, würde sie auch die Schweiz betreffen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter traf sich deshalb vor Kurzem mit dem deutschen Innenminister Horst Seehofer in Berlin. Dieser habe ihr versichert, die Schweiz eng in die Diskussionen über die Asylreform miteinzubeziehen. Das sei «sehr wichtig» für die Schweiz, zitiert CH Media die Bundesrätin, da der neue Pakt einer «Ablösung des heutigen Dublin-Systems» gleichkomme.



Laut Christoph Nufer, Kommunikationschef des Eidgenössischen Polizei- und Justizdepartements (EJPD), sei es noch zu früh, um die Auswirkungen des Pakts auf die Schweizer Politik vorherzusagen. Allerdings komme es immer dann, wenn durch die Übernahme von EU-Recht «neue Rechte oder Pflichten» eingeführt werden, zu einer parlamentarischen Debatte in der Schweiz und in der Folge möglicherweise auch zu einer Volksabstimmung.

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