Mutterkühe auf WanderwegenWarum ein Bauer vor «möglicher Todesgefahr» warnt
Von Anna Kappeler
31.8.2020
Alle vier bis fünf Jahre kommt ein Wanderer bei einem Angriff von Mutterkühen ums Leben. Einem Bauern gehen die offiziellen Infotafeln zu wenig weit – er warnt deshalb in eigenen Schildern vor der Gefahr.
Wandern ist die beliebteste Sportart in der Schweiz. Und Wandern boomt. Etwa 20'000 Kilometer Wanderwege verlaufen hierzulande über Wiesen und Weiden. Das hat auch Schattenseiten – während der Wandersaison kommt es immer wieder einmal zu Zwischenfällen mit Mutterkühen.
Das beschäftigt auch den Bündner Landwirt Luzi Stoffel aus Campsut. «Da der Wanderweg durch meine Weide führt, kann diese Vielzahl an Menschen zu Unfällen mit meinen Tieren führen. Mutterkühe verteidigen ihre Jungen nun einmal.» Seit etwa fünf Jahren gebe es zunehmend mehr Wanderer, und seit der Coronakrise sei deren Anzahl noch einmal gestiegen, so Stoffel.
Letzten Sommer wurde beispielsweise ein 55-Jähriger bei Poschiavo von einer Mutterkuh angegriffen, wobei er schwere Kopfverletzungen und seine Ehefrau einen Schock erlitt. Für Diskussionen sorgte im gleichen Jahr auch ein Urteil in Österreich. Ein Bauer musste sich an den finanziellen Folgen beteiligen, nachdem seine Tiere eine Hundehalterin zu Tode getrampelt hatten.
Wanderwege sind nicht verschiebbar
Dieses Urteil ist auch Landwirt Stoffel bekannt. Eigenhändig stellt er nun Warnschilder mit dem Hinweis «Mögliche Todesgefahr!» auf. «Die Schilder sind aus Sicherheitsgründen nötig», sagt er. Wenn etwas passiere mit seinen Tieren, «wenn ein Tier auf jemanden losgeht, bin ich verantwortlich». Er hafte und müsse zahlen. «Das ist ein Problem.»
Es steht nicht in des Bauers Macht, die Wanderwege zu verschieben. «Diese Routen stehen.» Doch Stoffel kann Schilder aufstellen, «und die Leute so zumindest warnen». Das sei für ihn zwar keine rechtliche Absicherung, «aber besser als nichts».
«Offizielle Infotafel sagt nicht viel aus»
Doch warum stellt Stoffel nicht einfach die offizielle Infotafel auf? Diese warnt ebenfalls vor Mutterkühen, wurde von einer Fachgruppe erarbeitet und ist vom Bundesamt für Strassen Astra akzeptiert. Landwirt Stoffel hat zu dieser jedoch eine klare Meinung: «Die sagt nicht viel aus. Da braucht es einfach deutlichere Worte.»
Hinter der offiziellen Infotafel steht eine Fachgruppe bestehend aus Schweizer Bauernverband, Mutterkuh Schweiz, Schweizer Wanderwegen und der Unfallverhütung in der Landwirtschaft BUL. Sie distanziert sich ihrerseits «vom Inhalt und dem Erscheinungsbild» von Stoffels Tafel, wie es beim BUL heisst. «Deren Umsetzung wurde nicht abgesprochen und der Inhalt berücksichtigt die derzeit geltenden gesetzlichen Hintergründe nicht», sagt Heinz Feldmann vom BUL.
Grundsätzlich haftet der Tierhalter
Zeit also, einen Blick auf die aktuelle Gesetzeslage zu werfen. Als Grundsatz gilt: Wanderwege sollen möglichst gefahrlos begangen werden können, wie aus dem Art. 6 des Fuss- und Wanderweggesetzes hervorgeht. Ein Bauer muss dabei immer davon ausgehen, dass Wegbenutzer über wenig bis gar keine Kenntnisse im Umgang mit Rindvieh verfügen. Weiden mit Mutterkühen muss er mit besonderer Aufmerksamkeit beurteilen.
Aus dem Art. 56 D. des Obligationenrechts geht weiter hervor, dass der Tierhalter grundsätzlich immer für den von seinem Tier angerichteten Schaden haftet. Kann er nachweisen, dass er alles getan hat, um den Schaden abzuwenden, kann er sich allenfalls von seiner Haftung befreien. Das gilt auch im Sommer auf der Alp: Wechseln Tiere den Standort, wird die dort verantwortliche Person zum Halter und somit haftbar.
Bauer mit Zusatzversicherung für fremde Tiere
Genau wegen dieses letzten Punktes hat sich Landwirt Stoffel aus Campsut zusätzlich abgesichert: «Als Alpmeister habe ich im Sommer auch Tiere von anderen Bauern, deshalb habe ich eine Zusatzversicherung auch für die Tiere der anderen Besitzer.» Bei ihm selber habe sich noch nie ein Unfall ereignet. «Doch ich habe schon aus der Distanz Szenen beobachtet, bei denen Kühe auf den Hund von Wanderern los sind.» Hund und Wanderer hätten fliehen müssen.
Der Schweizer Bauernverband unterstützt die Tierhalter dabei, dass sie ihre Pflicht kennen und wahrnehmen können. Die Bauern wüssten, «dass sie als Tierhalter und Alpverantwortliche auch in der Pflicht sind, Vorsorgemassnahmen zu treffen, um Zwischenfälle mit Wanderern zu vermeiden», sagt Pressesprecherin Sandra Helfenstein. Das sei spätestens seit dem österreichischen Urteil so.
«Ein Todesopfer alle vier bis fünf Jahre»
Ob die Anzahl Zwischenfälle mit Mutterkühen und Wanderern zunehme, weiss der Bauernverband nicht. Von einer nationalen Statistik hat er «keine Kenntnis». Eine leichte Zunahme von Rückmeldungen im Zusammenhang mit Mutterkühen wird bei den Schweizer Wanderwegen beobachtet. Die Beobachtung relativiere sich jedoch, sagt Sprecherin Patricia Cornali. «Es sind im Moment überdurchschnittlich viele Wanderinnen und Wanderer auf dem Schweizer Wanderwegnetz unterwegs.»
Bei der Unfallverhütung in der Landwirtschaft BUL gibt es ebenfalls keine eigentliche Statistik, dafür aber gesammelte Fälle. «In den letzten Jahren wurden uns pro Jahr zwischen eins bis vier Unfällen mit schweren Verletzungen gemeldet», sagt die dafür zuständige Sicherheitsfachfrau Cornelia Stelzer. Und: «Unfälle mit Todesfolge gibt es hier einen so alle vier bis fünf Jahre.»
Tipps zum Umgang mit Mutterkühen
Grösstmöglichen Abstand zu den Tieren halten.
Kälber nicht füttern und nicht anfassen.
Hunde anleinen, sie können die Kühe nervös machen.
Falls sich eine Kuh angriffig zeigt, die Weide am besten langsam und rückwärts verlassen.