ÖV ohne Passagiere«Im schlimmsten Fall muss man das Angebot zurückfahren»
tafi
2.3.2021
Abo- und Billettverkäufe sinken dramatisch: Die Corona-Krise reisst regionalen ÖV-Anbietern Millionenlöcher in die Kasse. Bei der Frage, wie sie Kunden zurückgewinnen können, stecken sie im Dilemma.
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02.03.2021, 12:38
02.03.2021, 12:39
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Züge, Busse und Trams sollten möglichst gemieden werden, warnte der Bundesrat im Frühjahr 2020. Die erste Welle der Corona-Pandemie rollte durch die Schweiz, der öffentliche Verkehr galt als Schwachpunkt im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus. Viele Menschen über längere Zeit auf engem Raum – das sollte vermieden werden.
Ein Jahr später bilanzieren die regionalen Verkehrsbetriebe dramatische Einbussen, wie SRF berichtet. Die Menschen sind in der Krise zunehmend auf Velos, E-Bikes und das eigene Auto umgestiegen. Busse und Züge hingegen wurden immer leerer.
«Ein solcher Einbruch ist einmalig, das hatten wir überhaupt noch nie in der Vergangenheit», sagt etwa Geschäftsführer Martin Osuna vom aargauischen Tarifverbund A-Welle, der einen 20-prozentigen Rückgang der Abonnementszahlen zu beklagen hat.
Keine Besserung in Sicht
In anderen Regionen der Schweiz sieht es nicht besser aus, weiss SRF. Der Tarifverbund Nordwestschweiz (TNW) beider Basel verkaufte 2020 rund ein Viertel weniger Abos, ähnliche Einbussen verzeichnen der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) und der Regionalverkehr Bern-Solothurn (RBS). Auch bei Einzelbilletten sei der Rückgang dramatisch: Der RBS verzeichnete im vergangenen Jahr ein Minus von 43 Prozent gegenüber 2019.
Das von der Corona-Pandemie beeinflusste neue Mobilitätsverhalten der Schweizerinnen und Schweizer belastet die Kassen der Verkehrsbetriebe: Dem RBS fehlen neun Millionen Franken, dem TNW gar 50 Millionen Franken. «Das trifft uns hart, weil wir über die Hälfte unserer Einnahmen über den Verkauf von Fahrausweisen decken», bilanziert RBS-Sprecherin Fabienne Thommen bei SRF.
Eine Besserung ist erstmal nicht in Sicht, befürchtet TNW-Geschäftsführer Adrian Brodbeck: «Wir beobachten, dass die Leute weiterhin zurückhaltend sind bei den Monats- und Jahresabos.» Zuletzt habe sich die Homeoffice-Pflicht noch einmal negativ auf die Verkaufszahlen ausgewirkt. «Die Kunden, die wir verloren haben, kommen nicht so schnell zurück», sagt Brodbeck – weshalb man beim TNW auch 2021 mit hohen Verlusten rechnet.
ÖV-Anbieter stecken in einem Dilemma
Die aktuell verbuchten Verluste haben die meisten Verkehrsbetriebe laut SRF noch mit ihren Reserven ausgleichen können. Doch diese sind endlich. Die ÖV-Anbieter stecken nun in einem Dilemma: Einerseits muss ihr Angebot attraktiv bleiben, damit die Kunden irgendwann zurückkommen.
Andererseits schliesst Hans Rudolf Rihs, Sektionsleiter öffentlicher Verkehr im Kanton Aargau, das Gegenteil nicht aus: «Im schlimmsten Fall muss man das Angebot zurückfahren, vor allem, wenn weiterhin weniger Leute reisen.»
Dass die regionalen ÖV-Anbieter von der öffentlichen Hand fallen gelassen werden, sei freilich unwahrscheinlich, so Rihs. Immerhin finanziere sie rund die Hälfte des öffentlichen Verkehrs.