Asylsystem mangelhaft? Opfer von Menschenhandel werden abgeschoben – Kritik am Bund

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14.10.2020

Opfer von Menschenhandel werden zunehmend in die Länder abgeschoben, in denen sie als Zwangsprostituierte oder Haushaltssklaven arbeiten müssen. (Symbolbild)
Opfer von Menschenhandel werden zunehmend in die Länder abgeschoben, in denen sie als Zwangsprostituierte oder Haushaltssklaven arbeiten müssen. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Der Bund will laut eines Medienberichts Opfer von Menschenhandel dorthin abschieben, wo sie gepeinigt wurden – ohne jeglichen Schutz. Zunehmend muss das Bundesverwaltungsgericht eingreifen.

Sie werden als Haushaltssklaven ausgebeutet oder zur Prostitution gezwungen: Menschenhandel ist auch heute noch ein verbreitetes Verbrechen. Nicht selten sind Menschen davon betroffen, die aus ihren Heimatländern in Afrika Richtung Europa fliehen – und unterwegs von Schleppern gefangen und verkauft werden.  

Manchen gelingt dann abermals die Flucht, manche schaffen es bis in die Schweiz. Wurde ein Geflüchteter bereits in einem Dublin-Erstaufnahmestaat registriert, kann der Bund ihn dorthin zurückschicken.

Das jedoch darf der Bund nicht immer: Mehrfach wurde das Staatssekretariat für Migration (SEM) in diesem und im vergangenen Jahr deshalb vom Bundesverwaltungsgericht gerügt, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet

Dem Blatt liegen mehrere Beschwerden gegen das SEM vor, denen das Bundesverwaltungsgericht stattgegeben habe. Immer ginge es dabei um Opfer von Menschenhandel. Unter Berufung auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen mahnt das Gericht in den Urteilen, dass die Betroffenen nicht ohne speziellen Opferschutz dorthin zurückgeschickt werden dürfen, wo sie als Zwangsprostituierte oder Haushaltssklaven arbeiten mussten. 

Hohe Dunkelziffer

Das bedeutet entweder, dass die Schweiz dem Asylgesuch selbst nachkommt – oder dass sie eine angemessene Behandlung der früheren und potenziellen Opfer garantiert. Es geht dabei um spezielle Beratung, eine sichere Unterbringung und um psychologische sowie medizinische Betreuung. Weil sie vor acht Jahren die Europaratskonvention gegen Menschenhandel ratifizierte, ist die Schweiz dazu verpflichtet.



Dieser Verpflichtung scheint der Bund jedoch nicht immer nachzukommen: Das Europarat-Gremium zur Bekämpfung von Menschenhandel (Greta) habe die hiesigen Migrationsbehörden laut «Tages-Anzeiger» bereits zweimal schriftlich zum besseren Schutz der Opfer aufgefordert. Dass  asylsuchende Opfer von Folter oder Menschenhandel möglichst früh identifiziert und unterstützt würden, sei in der Schweiz «nicht gewährleistet», heisst es auch in einer aktuellen Studie des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge. 

Demnach mangele es im SEM an entsprechenden Standardabläufen und Handlungsvorgaben: Ob man Opfer erkenne, hänge «weitgehend von den einzelnen Mitarbeitenden des SEM sowie der Rechtsvertretung ab», heisst es laut «Tages-Anzeiger» in der Studie. Insgesamt wurden in der Schweiz in den letzten sieben Jahren 556 potenzielle Menschenhandelsopfer vom SEM identifiziert, die Dunkelziffer dürfte jedoch um ein Vielfaches höher liegen, wie die Zeitung einen Sprecher der Flüchtlingshilfe zitiert.

Neues Asylgesetz mit Mängeln

44 der erfassten potenziellen Opfer seien direkt in einen Dublin-Erstaufnahmestaat abgeschoben worden – also einen EU-Staat, in dem sie oft von ihren Peinigern zur Arbeit gezwungen wurden. Dass dies ohne eingehende Prüfung geschah, liegt am neuen Asylgesetz, mit dem vom 1. März 2019 an beschleunigte Verfahren in Bundesasylzentren eingeführt wurden. Flüchtlingsorganisationen kritisieren, dass die Dublin-Entscheide viel zu schnell gefällt würden – und traumatisierte Opfer Gefahr liefen, am Ort ihrer Ausbeutung wieder den Tätern in die Hände zu fallen.



«Hier geht es nicht um Bagatellgeschichten – das sind gravierende Verbrechen. Es ist beschämend für die Schweiz, dass wir diese Opfer zu wenig schützen», zitiert der «Tages-Anzeiger» die Zürcher SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf. Der Politikerin zufolge müsse eine Lücke im Opferhilfegesetz geschlossen werden: «Betroffene aus dem Asylbereich, die im Ausland ausgebeutet wurden, fallen gesetzlich durch die Maschen.»

Doch was sagt das Staatssekretariat für Migration zu den Anschuldigungen? Sprecher Lukas Rieder erklärt gegenüber dem «Tages-Anzeiger»: «Gibt es Hinweise auf Menschenhandel, wird systematisch eine spezielle Anhörung mit den potenziellen Opfern durchgeführt. Zudem gewähren wir eine Erholungs- und Bedenkzeit.» Man würde die Prozesse laufend an die Fortschritte bei der Bekämpfung des Menschenhandels anpassen.

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