Überraschender Entscheid Pensionskassen-Reform muss eine Zusatzschlaufe drehen

SDA, gbi

15.6.2022 - 17:23

Josef Dittli (FDP, links) hat im Ständerat mit einem Kompromissvorschlag alle überrascht. Im Bild diskutiert er mit Peter Hegglin (Mitte) während der Sommersession.
Josef Dittli (FDP, links) hat im Ständerat mit einem Kompromissvorschlag alle überrascht. Im Bild diskutiert er mit Peter Hegglin (Mitte) während der Sommersession.
Bild: Keystone

Die berufliche Vorsorge muss dringend überarbeitet werden, das ist im Ständerat unbestritten. Doch statt sich für eine Variante zu entscheiden, schickt er das Geschäft überraschend an die Kommission zurück.

15.6.2022 - 17:23

Es ist ein veritabler Coup, der dem Urner Ständerat Josef Dittli (FDP) am Mittwoch gelungen ist. Die kleine Kammer schickt das Reformpaket der zweiten Säule erneut an die zuständige Kommission zurück. Sie soll einen Kompromissvorschlag von Dittli prüfen, der die Kompensationszahlungen für die Übergangsgeneration betrifft.

Dittli will beim Anrechnungsprinzip für die Übergangsgeneration eine Schwelle einführen: Wer bis zur Pensionierung ein Vorsorgekapital von bis zu 215'100 Franken angespart hat, würde auf jeden Fall einen Kompensationsbeitrag erhalten.

Wer über diesem Betrag liegt, für den würde das normale Anrechnungsprinzip gelten, wie es der Nationalrat beschlossen hat. Der Kreis der Bezüger*innen würde sonst zu gross, argumentierte Dittli.

Den Rückweisungsantrag eingereicht hatte Isabelle Chassot (Mitte/FR) am Mittwoch, womit sie auf den von Dittli überraschend und kurzfristig eingereichten Kompromissvorschlag reagierte. Der Rat sprach sich nach über dreistündiger Debatte mit 28 zu 15 Stimmen bei zwei Enthaltungen für die Rückweisung aus. Dagegen stimmten die Vertreter der SVP sowie einige Ständeratsmitglieder von Mitte und FDP.

Chancenlos und zu teuer

Sein Kompromissvorschlag würde im Gegensatz zur Lösung der Mehrheit der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) nur knapp zwölf Milliarden statt rund 25 Milliarden Franken kosten, rechnete Dittli vor. Die vom Nationalrat gutgeheissene Version würde mit rund neun Milliarden Franken zu Buche schlagen.

Die Kommissionsversion habe keine Chance im Ständerat, weil sie zu teuer sei und zu weit gehe, begründete Dittli seinen Einzelantrag. Er hatte bisher den Mehrheitsvorschlag der ständerätlichen Kommission vertreten, meinte nun aber: «Wir brauchen eine bessere und gezieltere Lösung für die Übergangsgeneration.»

Kritik an Schnellschuss

Die Torpedierung des Mehrheitsvorschlags der Kommission durch den Vertreter ebendieser Kommissionsmehrheit kam im Rat nicht überall gut an. «Wir sind in der Kommissionsarbeit vom Weg abgekommen», kritisierte Hannes Germann (SVP/SH). So etwas habe er bisher noch nie erlebt.

Der Vorschlag der knappen Kommissionsmehrheit verflüchtige sich wie ein Stück Zucker in warmem Tee: So erklärte Pirmin Bischof (Mitte/SO) seine Verwunderung über das ungewöhnliche Vorgehen Dittlis. Eine Rückweisung sei aber angezeigt, um keine Kompromisslösung übers Knie zu brechen. Leider habe Dittli wohl kalte Füsse bekommen, bedauerte Paul Rechsteiner (SP/SG).

Alex Kuprecht (SVP/SZ) bat den Rat, bereits heute zu entscheiden. Auch wenn man die Sache nochmals in die Kommission schicke, würden keine neuen Zahlen zu den Kosten herauskommen.

Das Reformpaket müsse am Schluss eine überzeugende Stabilität aufweisen, damit es an der Urne eine Chance habe. Deshalb sprach sich auch Gesundheitsminister Alain Berset für den erneuten Gang des Geschäfts in die Kommission aus. Die Konsequenzen aus Dittlis Vorschlag müsse man genau kennen.

Dringend notwendige Reform

Vor der Rückweisung hatte der Ständerat eine ausführliche Eintretensdebatte geführt. Dabei bezeichneten fast ausnahmslos alle Rednerinnen und Redner die Reform als dringend notwendig. Das BVG habe ein Demografie-, ein Umverteilungs- und ein Modernisierungsproblem, sagte Kommissionspräsident Erich Ettlin (Mitte/OW). Die derzeit geltende Regelung beruhe auf dem Arbeitsmarkt der Siebzigerjahre.

«Heute ist ein wichtiger Tag für die soziale Zukunft unseres Landes», führte Damian Müller (FDP/LU) aus. Die Zeit der Sonntagspredigten sei vorbei. Es liege kein Franken Renteneinbusse drin. Die Kaufkraft der tiefen Renten müsse gewährleistet sein. Der Ständerat dürfe keine soziale Kälte zeigen.

Der Gleichstellung näherkommen

Für Maya Graf (Grüne/BL) kommt die Schweiz mit der Reform der Gleichstellung in der beruflichen Vorsorge näher. Für viele Frauen seien die Renten heute oft unwürdig tief.

Kuprecht führte aus, die Reform müsse zielgerichtet sein und nur denjenigen zukommen, die effektiv von der Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent betroffen seien. Und betroffen seien gerade einmal 15 Prozent der BVG-Versicherten, ergänzte Bischof.

«Das heutige System ist besser als die Revision», wandte sich Ruedi Noser (FDP/ZH) klar gegen die Kommissionsvorlage. Sie werde die Administration explodieren lassen. Und man schaffe damit auf dreissig Jahre hinaus eine Umverteilung der Kosten von der AHV in die Pensionskassen.

Wie vielen Menschen steht ein Zuschlag zu?

Zur Kompensation der unbestrittenen Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent wollte die Ständeratskommission die ersten zwanzig Jahrgänge der Übergangsgeneration lebenslang mit einem Zuschlag ausstatten. Dies hatten die Grünliberalen im Nationalrat noch erfolglos beantragt. Der Nationalrat möchte den Zuschlag nur an 15 Jahrgänge auszahlen.

Geringverdiener sollen laut Vorschlag der SGK-S grundsätzlich eine höhere Pensionskassenrente erhalten. Allerdings will sie die Eintrittsschwelle weniger tief ansetzen als der Nationalrat.

Mit dem grosszügigeren Paket als der Nationalrat wollte die SGK-S die Chancen der Reform an der Urne erhöhen. Nicht nur Links-Grün war nach der Diskussion in der grossen Kammer im vergangenen Dezember überzeugt, dass deren Beschlüsse an der Urne nicht mehrheitsfähig seien.

Nun hat der Ständerat mit der Rückweisung des Geschäfts ein neues Kapitel eröffnet.

SDA, gbi