Das Volk soll über den Kauf neuer Kampfflugzeuge abstimmen können, nicht aber über die Flugabwehrraketen. Das empfiehlt der ehemalige Astronaut und Militärpilot Claude Nicollier der Verteidigungsministerin Viola Amherd.
Nicolliers Vorschlag deckt sich indes nicht mit den Plänen des Bundesrats. Dieser möchte Kampfjets und Raketen in eine Vorlage packen und dem fakultativen Referendum unterstellen. In der Vernehmlassung ist das schlecht angekommen. CVP und FDP lehnen die Verknüpfung ab, so dass die Pläne des Bundesrats schon im Parlament gefährdet sind.
Nun bekommen die Kritiker Rückendeckung vom Aviatik-Experten und heutigen ETH-Professor Nicollier. Er hat in Amherds Auftrag den Expertenbericht «Luftverteidigung der Zukunft» analysiert. Dieser war von Amherds Amtsvorgänger Guy Parmelin in Auftrag gegeben worden und bildet die Grundlage für die Beschaffungspläne des Bundesrats.
Die neue Verteidigungsministerin wollte diese Vorarbeiten und die daraus gezogenen Schlüsse nicht unbesehen übernehmen. Daher bestellte sie bei Nicollier eine Zweitmeinung. Das Verteidigungsdepartement VBS hat dessen Schlussfolgerungen am Donnerstag veröffentlicht.
Unnötiger Ballast
Nicollier lobt ausdrücklich die Qualität des Expertenberichts und empfiehlt, die weiteren Beschaffungsarbeiten darauf abzustützen. Nicht einverstanden ist er hingegen mit dem Entscheid des Bundesrats, Kampfflugzeug und Flugabwehrraketen in einer einzigen Vorlage unterzubringen. Nicollier empfiehlt einen Planungsbeschluss, der nur das Kampfflugzeug betrifft.
Welchen Kampfjet braucht die Schweiz?
16.04.2019
Es sei nicht sinnvoll, ein weiteres Waffensystem in diese Auseinandersetzung einzuführen, schreibt Nicollier. Diese betreffe nur das Flugzeug und werde wohl auch diesmal mehr emotional als sachlich geführt werden. Zudem müsse die Volksabstimmung unter allen Umständen vor dem Typenentscheid durch den Bundesrat stattfinden.
Demokratie am Limit
Den Grundsatzentscheid des Bundesrats, den Kampfjet-Kauf dem Volk vorzulegen, unterstützt Nicollier. Die Herausforderung sei aber gross, schreibt er. Eine Kampfjet-Beschaffung könne die direkte Demokratie an ihre Grenzen bringen.
Amherd hatte das milliardenschwere Rüstungsgeschäft von ihrem Amtsvorgänger Guy Parmelin geerbt. Unbesehen wollte sie die Vorarbeiten nicht übernehmen, weshalb sie zwei weitere Experten mit Zusatzberichten beauftragt hatte. In Amherds Auftrag hat der ehemalige Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle, Kurt Grüter, als externer Experte die Kompensationsgeschäfte (Offsets) unter die Lupe genommen. In seinem Bericht warnt er den Bundesrat vor zu grossen Erwartungen.
Mit diesen Empfehlungen und Erkenntnissen im Rücken will Amherd dem Bundesrat in den nächsten Wochen konkrete Vorschläge unterbreiten. Eine allfällige Referendumsabstimmung könnte in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 stattfinden.
Zu hohe Erwartungen
Die angestrebte hundertprozentige Kompensation in Form von Gegengeschäften sei angesichts der Grössenordnung von sechs bis sieben Milliarden Franken kaum realisierbar. Ins Auge gefasst werden sollen aus Grüters Sicht direkte Offsets in der Grössenordnung von 20 Prozent und auf die sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis ausgerichtete indirekte Offsets von zusätzlichen 40 Prozent.
Bei direkten Offsets fliessen die von Schweizer Unternehmen erbrachten Leistungen direkt in das zu beschaffende Rüstungsgut ein. Bei indirekten Offsets erhalten Schweizer Unternehmen Aufträge, die nicht direkt mit dem zu beschaffenden Rüstungsgut in Verbindung stehen.
Eine der zwei Maschinen vom Typ Lockheed Martin F-35 «Lightning II» am 25. April 2018 auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA in Berlin. (Archiv)
Ein F-35-Kampfjet von Lockheed Martin bei der Evaluation in Payerne.
F-35A im Flug: Lockheed Martin begleitete die Evaluation in der Schweiz mit einer Werbeoffensive auf Twitter. (Archivbild)
Bei den Kandidatentests der möglichen zukünfitgen Schweizer Kampfjets in Payerne VD hob er als erster ab: Der Eurofighter Typhoon – hier ein Exemplar der deutschen Luftwaffe beim Testflug auf dem Flugplatz Emmen LU. (Archivbild)
Auch der Kampfjet des Typs F/A-18 Super Hornet ist in der Auswahl für das neue Schweizer Kampfflugzeug. (Archivbild)
Ein Rafale-Kampfjet bei einer Flugschau im September 2017 in Sitten. (Archivbild)
Schweden nimmt den Gripen E mit der Entscheidung, nicht an den Tests teilzunehmen, aus dem Rennen. Jetzt sind es nur noch vier Modelle, die evaluiert werden. (Archiv)
Diese Kampfjets testet die Schweiz
Eine der zwei Maschinen vom Typ Lockheed Martin F-35 «Lightning II» am 25. April 2018 auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA in Berlin. (Archiv)
Ein F-35-Kampfjet von Lockheed Martin bei der Evaluation in Payerne.
F-35A im Flug: Lockheed Martin begleitete die Evaluation in der Schweiz mit einer Werbeoffensive auf Twitter. (Archivbild)
Bei den Kandidatentests der möglichen zukünfitgen Schweizer Kampfjets in Payerne VD hob er als erster ab: Der Eurofighter Typhoon – hier ein Exemplar der deutschen Luftwaffe beim Testflug auf dem Flugplatz Emmen LU. (Archivbild)
Auch der Kampfjet des Typs F/A-18 Super Hornet ist in der Auswahl für das neue Schweizer Kampfflugzeug. (Archivbild)
Ein Rafale-Kampfjet bei einer Flugschau im September 2017 in Sitten. (Archivbild)
Schweden nimmt den Gripen E mit der Entscheidung, nicht an den Tests teilzunehmen, aus dem Rennen. Jetzt sind es nur noch vier Modelle, die evaluiert werden. (Archiv)
Auf weitere Offsetgeschäfte soll der Bund laut Grüter ganz verzichten, weil solche gegen das Prinzip des freien Aussenhandels verstiessen. «Ohne inhaltliche Vorgaben droht eine Subventionierung der Industrie mit der Giesskanne.» Der Fokus solle deshalb auf Geschäften liegen, «die für die Sicherheit und Verteidigung der Schweiz unerlässlich sind.»
Schlechtere Sicherheitslage
Ein dritter Bericht ist im VBS selber entstanden. Sicherheitspolitik-Chefin Pälvi Pulli untersuchte darin die aktuelle Bedrohungslage. Gestützt darauf kommt sie zum Schluss, dass die Schweiz nach wie vor neue Kampfflugzeuge und Luftabwehrraketen braucht, um ihren Luftraum schützen und verteidigen zu können.
Die Verschlechterung der internationalen Sicherheitslage hat den Handlungsbedarf laut Pulli in den letzten zwei Jahren gar noch erhöht. Das betrifft unter anderem die Konfrontation Russlands mit westlichen Staaten, die wachsende Bereitschaft für den Einsatz von Machtmitteln, die verstärkte Aufrüstung und die Kündigung des Vertrags über nukleare Mittelstreckenraketen.
Als nächstes wird Amherd dem Bundesrat eine Botschaft unterbreiten. Derweil werden in Payerne bereits fünf Kampfjet-Kandidaten getestet. Nach heutiger Planung sollen die ersten Jets 2025 an die Schweiz ausgeliefert werden.
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