Reform der 2. Säule «Kompromiss wurde zerzaust» – «Linke setzt auf Maximal-Forderungen»

Von Gil Bieler, Alex Rudolf und Christian Thumshirn

29.11.2022

Ständerat beugt sich erneut über die 2. Säule: Worauf hoffen Sie?

Ständerat beugt sich erneut über die 2. Säule: Worauf hoffen Sie?

Der Ständerat beugt sich erneut über die Reform der Pensionskassen-Renten, die Fronten sind verhärtet. Hoffen Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber und Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel auf einen Durchbruch? Sie erklären es im Video-Interview.

28.11.2022

Die Pensionskasse muss überarbeitet werden, darin ist man sich im Parlament einig. Doch wie? Darum wird erbittert gerungen. Am Dienstag klemmt sich der Ständerat hinter das Geschäft. Das musst du wissen.

Von Gil Bieler, Alex Rudolf und Christian Thumshirn

Was ist unbestritten?

Nicht sehr viel. Der sogenannte Umwandlungssatz der zweiten Säule soll gesenkt werden, von 6,8 auf 6,0 Prozent. Das ist unbestritten. Von diesem Prozentsatz hängt ab, wie hoch die Pensionskassen-Rente ausfällt. Pro 100'000 Franken obligatorisches Altersguthaben gibt es heute eine Rente von 6800 Franken pro Jahr. Künftig wären es noch 6000 Franken.

Warum gibt es Streit im Parlament?

Um die 15 Jahrgänge, die nach Inkrafttreten der Reform pensioniert werden. Respektive: um die Frage, wie die Betroffenen für die gekürzten Renten entschädigt werden.

Wie geht es heute im Parlament weiter?

Der Ständerat wird sich mit dem Thema befassen. Wenn er den Empfehlungen seiner zuständigen Kommission folgt, dann würde folgende Lösung zustandekommen:

Die 15 Jahrgänge der Übergangsgeneration sollen mit einem lebenslangen Rentenzuschlag kompensiert werden. Wie hoch dieser ausfällt, richtet sich nach dem angesparten Pensionskassen-Guthaben.

Wer zum Zeitpunkt der Pensionierung über ein Altersguthaben von 215'100 Franken oder weniger verfügt, soll den vollen Zuschlag erhalten. Dieser beträgt für die ersten fünf Jahrgänge 2400 Franken, für die nächsten fünf Jahrgänge 1800 Franken, und für die letzten fünf Jahrgänge 1200 Franken pro Jahr.

Laut Schätzungen würden damit 25 Prozent der Versicherten in der Übergangsgeneration den vollen Zuschlag erhalten.

Versicherte mit einem Altersguthaben zwischen 215'100 und 430'200 Franken haben nach dem Vorschlag der Kommission ebenfalls Anspruch auf einen Zuschlag, wobei der Betrag aber je nach Altersguthaben abgestuft angepasst wird.

Davon würden schätzungsweise weitere 25 Prozent der Versicherten in der Übergangsgeneration profitieren.

So weit die Vorschläge der Kommission für Sicherheit und Gesundheit des Ständerates. Ob die kleine Kammer sich diesen anschliesst, zeigt die Debatte am Dienstag. Bereits in der Kommission selbst gab es aber einigen Widerstand, das Konzept zur Pensionskassen-Reform wurde am Ende mit 8 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung beschlossen.

Wo ist das Problem?

Den Gewerkschaften und der politischen Linken gehen die Kompensationen zu wenig weit. Parlamentarier*innen von SP und Grünen pochen darauf, dass den Frauen jetzt bei der Pensionskassen-Rente entgegengekommen werden müsse. Immerhin wurde das Rentenalter der Frauen erst gerade auf 65 Jahre erhöht, um die AHV finanziell zu stabilisieren – gegen den Willen der Linken.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) lehnt den Vorschlag der Ständeratskommission «kategorisch» ab. Das Modell sei teuer und senke letztlich die Renten. Und er kritisiert: Die Kommission bleibe deutlich hinter ihren eigenen Vorschlägen zurück, die sie noch vor einem halben Jahr vorgelegt habe. Und das, obwohl klare Versprechen abgegeben worden seien und sich die finanzielle Situation der Pensionskassen rasant zuspitze.

Zudem, so kritisiert der Gewerkschaftsbund, müssten die Frauen weiterhin Jahrzehnte auf eine Verbesserung ihrer Renten warten. Bei einem Jahreslohn von 25'000 Franken stiegen die Kosten für die Versicherten gemäss SGB um knapp acht Lohnprozente auf 160 bis 250 Franken pro Monat – «um dafür in 40 Jahren eine monatliche Rente von knapp 500 Franken zu erhalten». Für die tieferen Löhne und die viele unbezahlte Arbeit, die Frauen leisteten, sollten sie nun noch mit massiven Mehrkosten in der zweiten Säule bestraft werden.

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Was wollen denn die Gewerkschaften?

Die Gewerkschaften trauern dem Kompromissvorschlag der Sozialpartner nach. Dieses Modell verlangt Zuschläge für alle Neurentner*innen. Auch der Bundesrat unterstützte diesen Kompromissvorschlag. Der Nationalrat hat die Kernelemente dieses Kompromisses aber bereits versenkt.

Der Kompromiss der Sozialpartner ist umstritten, weil er die – im Prinzip in der zweiten Säule nicht gewünschte – Umverteilung der Gelder von den Erwerbstätigen hin zu den Rentner*innen auf längere Zeit zementieren würde. Es geht um Milliardenbeträge. Die bürgerliche Mehrheit in National- und Ständerat will die Umverteilung zumindest begrenzen.

Was ist die Vorgeschichte der Reform im Ständerat?

Die Ständeratskommission hatte im Sommer noch eine grosszügigere Vorlage präsentiert, um die Chancen der Reform in einer allfälligen Volksabstimmung zu erhöhen. Mit diesem ersten Lösungsvorschlag hätten etwa 70 Prozent der Versicherten in der Übergangsgeneration den vollen Zuschlag erhalten und 18 Prozent einen reduzierten Zuschlag.

Der Ständerat entschied sich dann im Juni aber für eine Zusatzschlaufe und wies das Paket auf Antrag von Josef Dittli (FDP, Uri) noch einmal zur Überarbeitung zurück an die Kommission. Der Auftrag: beim Anrechnungsprinzip für die Übergangsgeneration müsse eine Schwelle eingeführt werden. Der Kreis der Bezüger*innen werde sonst zu gross, meinte Dittli. Zudem würde dieses Modell nur rund 12 Milliarden statt rund 25 Milliarden Franken kosten.

Nun also legt die zuständige Ständeratskommission eine überarbeitete Version vor. Sie preist diese als ein «austariertes Konzept für die Entschädigung der Übergangsgeneration». Die Vorschläge orientierten sich am Modell des Nationalrates, erweiterten aber den Kreis der Bezüger*innen und wolle tiefe Vorsorgeguthaben besserstellen.

Was ist die Vorgeschichte im Nationalrat?

Der Nationalrat beschloss im Dezember 2021, dass 35 bis 40 Prozent der Rentner*innen von 15 Übergangsjahrgängen einen Zuschlag als Kompensation für die tiefere Rente erhalten sollten, abgestuft nach Jahrgängen. Er wich damit vom von den Sozialpartnern vorgeschlagenen und dem Bundesrat unterstützten Kompromiss ab, der Zuschläge für alle Neurentner*innen vorgesehen hatte.

Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.