Klassen in Quarantäne Ruf nach Fernunterricht wird lauter – Kantone wollen Schulen offen halten

uri/SDA

19.1.2021

Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums in Lausanne im August 2020. (Archiv)
Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums in Lausanne im August 2020. (Archiv)
Bild: Keystone

Mit hohen Fallzahlen und den ansteckenderen Coronavirus-Mutationen mehren sich die Forderungen, an Gymnasien und Berufsschulen auf Fernunterricht umzustellen. Das Gewerbe und die Erziehungsdirektoren halten dagegen.

Im Tessin mussten sich zuletzt rund 500 Schülerinnen und Schüler und 70 Lehrkräfte in Quarantäne begeben, nachdem hier die britische Coronavirus-Variante festgestellt wurde. In Bremgarten BE betraf es 120 Schulkinder der Primarschule und des Kindergartens. Nachdem Mutationen auch in St. Moritz auftauchten, schloss man hier vorsichtshalber gleich alle Schulen.

Am Wochenende forderte der Basler Epidemiologe Marcel Tanner, dass nun auch ältere Schüler wieder in den Fernunterricht sollten. «Alles andere wäre aus wissenschaftlicher Sicht falsch», sagte das kürzlich zurückgetretene Mitglied der Covid-Taskforce des Bundes in der «SonntagsZeitung». Er begründete das auch damit, dass Schüler der Sekundarstufe sich im Gegensatz zu Primarschülern häufig im öffentlichen Verkehr oder während der Mittagspause in den Läden befänden. «Es ist jetzt aber ganz wichtig, Kontakte und damit Mobilität zu reduzieren», so Tanner.

Auch Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, sperrt sich nicht gegen weitere Schritte an den Schulen. «Die bisherigen Schutzmassnahmen reichen nicht mehr aus. Wir fahren das ganze Leben herunter, schliessen Läden und beschränken Kontakte – nur in den Schulen gilt der Status quo», sagte sie zum «Blick». Das gehe aus ihrer Sicht nicht auf. Allerdings habe man vor Schulschliessungen zunächst über weitere Alternativen nachzudenken, etwa über die Einführung von FFP2-Masken für Lehrer.

Berufsschüler in St. Gallen streiken

Als problematisch erachten den derzeitigen Zustand auch Schülerinnen und Schüler des St. Galler Berufsbildungszentrums GBS. Wie «20 Minuten» berichtet, sind hier am Montag rund 60 Personen zu Hause geblieben, obwohl der Präsenzunterricht an den Mittelschulen wieder begonnen habe. «Wir kommen uns vor wie im Zirkus», zitiert «20 Minuten» eine Schülerin. Sie bemängelte, dass die Fenster auch bei minus fünf Grad geöffnet bleiben müssten und sich mit ihr weitere 19 Personen auf engem Raum befänden. Die Schule beharre auf dem Präsenzunterricht, obwohl es unter Eltern und Lehrern Risikopatienten gebe.

Wegen der unverständlichen Vorgaben hätten am Wochenende deshalb mehrere Klassen des Berufsbildungszentrums GBS den Lehrpersonen und dem Rektor mitgeteilt, dass sie den Veranstaltungen vor Ort fernbleiben würden. Sie seien dabei in ihrer Schule zunächst auch auf Verständnis gestossen, man habe ihnen sogar Homeschooling angeboten.

Am Montag sei dann aber vonseiten der Schule mitgeteilt worden, dass der Präsenzunterricht zwingend stattfinden müsse. Das Bildungsdepartement des Kantons habe die Weisung erlassen, in den Präsenzunterricht zu wechseln. Dieser Anordnung habe man sich zu fügen.

Am Berufsbildungszentrums GBS äusserten laut «20 Minuten» Mitglieder des Lehrerkollegiums Verständnis für die Schüler. Eine Lehrkraft schrieb demnach in einer E-Mail, sie habe den kantonalen Entscheid mit «Befremden» zur Kenntnis genommen, eine andere bedaurte, dass sie nicht online unterrichten dürfe. Ein weiterer Lehrer erklärte, er stehe dem Bundesrats-Entscheid und dem Entschluss der St. Galler Behörden «kritisch gegenüber», könne sich dem angeordneten Präsenzunterricht aber nicht entziehen.

Gewerbeverband fordert offene Berufsschulen

Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) forderte indes heute, die Berufsschulen sollten auch bei einer Schliessung der übrigen Sekundarstufe II offen bleiben.

Für mehrere Jahrgänge von Lehrlingen werde eine Schliessung zur Hypothek werden, begründete der Verband seine Forderung in einer Mitteilung. Die jungen Berufsleute sollten ihre Lehrabschlussprüfung demnach regulär ablegen können und nicht durch eine vom SGV so genannte «Corona-Lehre» belastet werden.

Die Wirtschaft bleibe zudem auch in der Krise auf Fachkräfte angewiesen. Darum dürften auch in der höheren Berufsbildung die praktischen Studiengänge und Vorbereitungskurse nicht einfach im Fernunterricht durchgeführt werden, erklärte der Verband weiter.

Erziehungsdirektoren-Konferenz für «Kaskadensystem»

Flächendeckende Schulschliessungen bis auf die Ebene der Primarschulstufe kommen laut «Blick» für die Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) bislang ohnehin nur im äussersten Notfall infrage. Das gehe aus einem vertraulichen Brief der EDK-Präsidentin Silvia Steiner hervor.

Wie der «Blick» von einer eingebundenen Person erfuhr, gelte bei den Kantonen die generelle Haltung: «Finger weg von den Schulen – es sei denn, die Situation ist derart dramatisch.» Schliesslich richte man mit Schulschliessungen beim verpassten Stoff und im psychischen und sozialen Bereich riesige Schäden an.

Die Erziehungsdirektoren-Konferenz habe deshalb bei steigenden Zahlen ein «Kaskadensystem» im Sinn, schreibt «Blick». Dieses reiche von einer Ausweitung der Maskenpflicht, über Zugangsbeschränkungen für Dritte, wie etwa Eltern. Denkbar sei dann auch der Fernunterricht an Gymnasien und Berufsschulen. Halbklassen-Unterricht sei für die Erziehungsdirektoren indes keine Option, da dieser einen zu grossen Aufwand bedeute und epidemiologisch wenig Sinn mache.

Eine erste Stufe der Kaskade hat gerade bereits der Kanton Baselland genommen. Er kündigte an, dass aufgrund der steigenden Fallzahlen und der Coronavirus-Mutationen ab dem 20. Januar alle Schulkinder ab 10 Jahren im Unterricht eine Maske tragen müssten. 

Der Bundesrat hatte die Kantone schon Anfang Januar dazu aufgefordert, Überlegungen anzustellen, «welche Massnahmen in den obligatorischen Schulen getroffen werden könnten, falls zusätzliche Massnahmen unumgänglich werden sollten». Am Mittwoch wird sich zeigen, wie er die Lage an den Schulen einschätzt.

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