Verwirrung nach «K-Tipp»-ArtikelWas wirklich hinter den SwissPass-Plänen zur Halbtax-Abschaffung steckt
Petar Marjanović
16.10.2025
Das Halbtax wird längst nicht mehr als eigene Karte angeboten. Der «K-Tipp» berichtet, die Alliance SwissPass plane die Abschaffung des Halbpreis-Abos. (Archivbild)
Bild:Keystone
Droht dem Halbtax-Abo die Abschaffung oder nicht? Eine bislang unveröffentlichte Präsentation zeigt, was die Pläne der ÖV-Branche sind.
Der «K-Tipp» berichtete, das Halbtax stehe mit dem neuen Tarifsystem «MyRide» vor dem Aus.
Swisspass widersprach und versichert, das Halbtax bleibe bestehen.
Doch interne Unterlagen zeigen: Geplant ist ein System mit nur noch drei Produkten und einem variablen Rabatt – statt den fixen 50 Prozent beim Halbtax.
Die Kritik war so sicher wie das Amen in der Kirche, als gestern der «K-Tipp» erschien. Die Schlagzeile auf der Frontseite lautete: «Erfolgsabo Halbtax steht vor dem Aus». Grund dafür sei das neue Tarifsystem «My Ride», das ab 2027 eingeführt werden soll.
Schnell griffen auch andere Medien die Meldung auf. Doch bevor sich die Schlagzeile auf allen Online-Portalen verbreiten konnte und noch zahlreichere kritische Leser*innen-Kommentare veröffentlicht wurden, folgte bereits das Dementi der Alliance Swisspass. Das ist der Branchenverband, in dem sich alle Bahn- und Busgesellschaften sowie Tarifverbünde organisieren.
Die Stellungnahme hatte es in sich: Swisspass dementierte nicht nur mit «Das Halbtax bleibt» die Recherche auf ganzer Linie, sondern übte auch scharfe Kritik an der Konsumentenzeitschrift «K-Tipp»: Der Artikel sei eine verkürzte Darstellung. Und: «Trotz vollständiger Kenntnis der relevanten Fakten hat die Redaktion des K-Tipp im Artikel vom 15.10.2025 bewusst einen falschen Titel gewählt und Fakten irreführend dargestellt.»
Swisspass lieferte Vorabinformationen
Was ist passiert? Wer hat was missverstanden? Und vor allem: Was bedeutet das nun für das Halbtax? blue News hat nachgefragt und rekonstruiert, wie es überhaupt zur Schlagzeile im «K-Tipp» kam: Nach den Sommerferien lud Swisspass ausgewählte Journalist*innen zu einem Hintergrundgespräch ein.
Zur Einordnung: Bei einem Hintergrundgespräch treffen sich oft mehrere Medienschaffende mit Fachpersonen von Behörden oder Unternehmen, um Themen vertieft zu diskutieren. Solche Treffen finden – anders als Pressekonferenzen – meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, damit Expert*innen freier sprechen können, ohne jedes Wort druckreif formulieren zu müssen.
Bei diesem Gespräch wollte Swisspass die «Strategie 2035» vorstellen. Dazu gehört auch das Projekt «MyRide»: ein komplett neues Tarifsystem im öffentlichen Verkehr, mit dem das Prinzip «zuerst fahren, dann zahlen» eingeführt werden soll.
Die Bahn- und Busunternehmen erhoffen sich viel davon: Sie wollen nicht nur mehr Menschen vom Auto in den ÖV bringen, auch die «wirtschaftliche Effizienz» soll steigen. Konkret hofft man auf «positive Effekte auf die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs». Das steht in der Präsentation, die am Hintergrundgespräch gezeigt wurde und von Swisspass gestern auf Anfrage zur Verfügung gestellt wurde.
Aus 4000 ÖV-Produkten sollen drei werden
Auf Seite 6 der Präsentation stand jener Satz, der zur «K-Tipp»-Schlagzeile führte:
Auf der Folie ist von «1 Tarif, 3 Produkte» die Rede. Das Halbtax wird nicht erwähnt.
ZVG
Auf Deutsch: Statt 4000 Produktarten soll es nur noch einen Tarif mit drei Produkten geben. Hinter der Zahl 4000 stecken die unzähligen Strecken- und Zonenbillette und Abos von heute. Der «K-Tipp» zählte darunter auch das Halbtax, weil es gemäss den Folien künftig nicht mehr in der heutigen Form existieren werde.
«Wer ein Halbtax hat, zahlt auch nur den halben Preis. Die Alliance Swisspass macht geltend, der Halbtax-Rabatt werde ins neue Preissystem überführt. Allerdings soll der Rabatt künftig davon abhängig sein, wie oft und wie weit der Kunde fährt. Das bedeutet, dass dieser Rabatt in der Regel nicht mehr 50 Prozent entspricht», schreibt die Redaktion auf Anfrage von blue News.
Diese Darstellung wird auf Seite 8 bestätigt: Wer bei «MyRide» den mittleren Tarif «Smart» («Flexibilität mit allen Vorteilen der smarten Tarifwelt») wählt, erhält einen veränderlichen Rabatt.
Das «Smartabo» ermöglicht Bahn- und Busfahrten zu einem reduzierten Preis. Der Rabatt entspricht jedoch nicht mehr fix 50 Prozent wie beim Halbtax, sondern ist variabel.
ZVG
Die Alliance Swisspass hält im Dementi fest, dass das Halbtax auch nach einer «möglichen Einführung» weitergeführt werde. In welcher Form, mit welchen Rabatten und vor allem in welcher Beziehung zu «MyRide» wurde aber nicht erläutert. In der Stellungnahme heisst es aber: «Die konkrete Ausgestaltung eines neuen Preissystems ist in Arbeit. Der Entscheid zur Einführung ist noch nicht gefällt.»
Swisspass-Folie: MyRide soll bestehendes Sortiment ersetzen
Auch wenn formell noch nichts entschieden ist: Die Alliance Swisspass stellte den Systemwechsel zu «MyRide» im Hintergrundgespräch nicht als Möglichkeit dar, sondern als konkretes Ziel. Der «K-Tipp» machte daraus die Schlagzeile «Branchenverband will Halbtaxabo abschaffen» – was konkret heisst: Es gibt solche Pläne.
Auf einer der letzten Folien wurde dazu eine schematische Grafik gezeigt. Sie lässt nur den Schluss zu, dass das bestehende Sortiment schrittweise durch das Tarifsystem «MyRide» ersetzt werden soll. In der Überschrift ist gar von einem «Systemwechsel» die Rede. Am Ende der Präsentation heisst es euphorisch: «Vorwärts MyRide!»
«MyRide», bestehend aus dem Basistarif und Smartabo, sollen laut Grafik das bestehende Sortiment ersetzen. Die Folie spricht von «Zielbild».
ZVG
Von dieser Euphorie kann die «K-Tipp»-Redaktion nichts abgewinnen. In ihrer Stellungnahme legt die Redaktionsleitung nach und bringt weitere Kritikpunkte vor: «Bei MyRide ist die Datenerfassung zwingend, um von einem Rabatt zu profitieren. Das neue System entspricht nicht mehr dem heutigen Halbtax.»
Bahnkunden-Vertretung sieht Vorteile
Für die Alliance Swisspass bleibt das Projekt – trotz euphorischer Sprache in den Folien – vorerst nur ein Projekt. «Die konkrete Ausgestaltung eines neuen Preissystems ist in Arbeit. Der Entscheid zur Einführung ist noch nicht gefällt», heisst es in der Stellungnahme. Zuerst entscheidet der sogenannte Strategierat der Alliance Swisspass, danach kommt es zur Abstimmung unter allen Tarifverbunden und Bahn- und Busunternehmen. Laut «K-Tipp» hat Swisspass-Geschäftsführer Helmut Eichhorn den «Eindruck, dass eine Mehrheit die geplanten Änderungen unterstützt».
Pro Bahn, die Interessensvertretung der Bahnkunden, sieht laut einer Stellungnahme einige Vorteile bei den angedachten Änderungen: Wenn das «Smart-Abo» eine Mindestlaufzeit von nur einem Monat hat, würde das die Einstiegshürde in den öffentlichen Verkehr gegenüber dem bisherigen Halbtax-Abo deutlich senken.
Transparenzhinweis: Der Reporter von blue News war bis Ende März 2025 für den «K-Tipp» tätig. Er war am erwähnten «K-Tipp»-Artikel nicht beteiligt.
Alliance Swisspass lanciert Halbtax Plus für flexibles Reisen
Auf den Fahrplanwechsel Mitte Dezember lanciert Alliance Swisspass mit dem Halbtax Plus ein neues Angebot für öV-Nutzende. Das neue Abo wird in drei verschiedenen Guthabengrössen angeboten. Reisende sollen von einem Bonus ohne finanzielles Risiko profitieren können.