Wut-Maschinerie im InternetSitzhase, Stehhase, Groteskhase? So wird der Osterhase zum Politikum gemacht
Petar Marjanović
18.4.2025
Schon 2018 regten sich Facebook-Nutzer über ein vermeintliches Osterhasen-Verbot.
Facebook
Schoko-Osterhasen hiessen schon vor über 40 Jahren «Stehhase» oder «Sitzhase». Rechte Influencer schüren aber mit Falschinformationen Wut und behaupten: «Woke» hätte den Osterhasen verboten. So kam es dazu.
«Rage Bait» ist eine Manipulationstaktik, um gezielt Empörung zu provozieren. Influencer nutzen sie, um Geld zu verdienen oder politische Inhalte zu verbreiten.
Seit Jahren wird diese Taktik bei einem angeblichen Osterhasen-Verbot genutzt. Auch dieses Jahr behaupteten Politiker*innen und Influencer*innen, der Osterhase dürfe nicht mehr «Osterhase» heissen.
Die Taktik ist effektiv. Laut Studien lesen viele Internetnutzer nur Überschriften.
Wer in den letzten Tagen auf Facebook, TikTok, Instagram, LinkedIn, X oder anderen sozialen Netzwerken unterwegs war, dürfte die Debatte bemerkt haben: Darf der Osterhase noch «Osterhase» genannt werden? Oder führten «Woke», «Islamisierung» und angebliche «Meinungsdiktatur» dazu, dass man Schokoladenhasen nur noch «Sitzhase» oder «Stehhase» nennen darf?
Wie die Empörung gestartet hatte
Wer nach dem Ursprung der Diskussion sucht, erkennt schnell ein Muster: Kurz vor Ostern verbreitet sich regelmässig die Behauptung, dass aus politischen Gründen der Begriff «Osterhase» nicht mehr verwendet werden dürfe.
Osterhase/Sitzhase-Debatten der letzten Jahre
Beispiel 2016: Am 22. März postete ein Facebook-Nutzer: «Na endlich wird der blöde Osterhase abgeschafft und der politisch korrektere ‹Sitzhase› eingeführt...ALLAHU AKBAR!». In diesem Jahr waren terroristische Anschläge aktuell, bei dem Islamisten den Gottesruf «Allahu akbar» (Gott ist grösser) propagierten. Ostern war in diesem Jahr am 27. März.
Beispiel 2018: Ein anderer Nutzer schrieb am 28. März: «Wohl um keine religiösen Gefühle zu verletzen, gibt es bei Karstadt jetzt keine Osterhasen mehr, sondern ‹Traditionshasen›. Die Unterwerfung und Selbstaufgabe schreiten voran. Ich gebe dort keinen Cent mehr aus.» Der Beitrag wurde tausendfach verbreitet. Ostern war in diesem Jahr am 1. April.
Dieses Jahr löste ein Facebook-Nutzer namens Markus Vollk die Empörung aus. Am 24. März postete er ein Foto aus einem Lidl-Prospekt, in dem ein Schokoladenhase als «Sitzhase» bezeichnet wurde. Der Beitrag verbreitete sich schnell und sorgte für zahlreiche wütende Kommentare.
Empörung wird befeuert
Die Empörungswellen der letzten Jahre haben gemeinsam, dass sie auf Falschinformationen beruhen und anschliessend von rechten Influencern und Politikern weiterverbreitet wurden.
2018 griff etwa die AfD-nahe Politikerin Erika Steinbach den erwähnten Facebook-Beitrag auf und kommentierte auf X: «Wer mir keine Osterhasen mehr verkaufen will, der kann auch sonst auf mich verzichten.»
Erika Steinbach (heute AfD) veröffentlichte diesen Tweet: «Wer mir keine Osterhasen mehr verkaufen will, der kann auch sonst auf mich verzichten.»
X
Dieses Jahr sorgte der YouTuber Alexander Raue («Vermietertagebuch») für Aufregung. In seinem Video «Lidl mit woker Katastrophe – Kunden rasten komplett aus!» behauptete er: «Lidl hat jetzt allen Ernstes die Osterhasen verboten.» Raue lieferte dazu zahlreiche überspitzte Aussagen: «Ein Supermarkt hat Lebensmittel zu verkaufen, nicht Politik zu machen.» Oder: «Ostern ist ja ein christliches Fest. Da der Osterhase zu sehr die Gefühle unserer Neubürger verletzt, müssen die halt verboten werden.»
Als Beleg zitierte er einen Artikel von «Der Westen», erwähnte aber nicht, dass darin klargestellt wurde, die Bezeichnung «Sitzhase» sei nicht ungewöhnlich.
Das Ergebnis: Innerhalb kurzer Zeit wurde das Video von über 350'000 Menschen angesehen. Viele glaubten der Darstellung und forderten in Kommentaren einen Lidl-Boykott.
Wer den Artikel aufmerksam las, stellte fest, dass die Antwort «Nein» lautete. Trotzdem blieb vielen Leserinnen und Lesern aufgrund der Überschrift die Botschaft «Abschaffung» im Gedächtnis. Die Zeitung bewarb den Artikel zusätzlich auf Facebook mit der Frage: «Schokohase in Gefahr?»
Am 7. April 2025 bewarb die «Kleine Zeitung» ihren Artikel zum Sitzhasen.
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Die «Alternative für Deutschland» (AfD) griff diese irreführenden Darstellungen dankbar auf und verbreitete sie weiter.
Der AfD-Parlamentarier Dimitri Schulz behauptete beispielsweise: «Aus Rücksicht auf irgendwen wird der gute alte Osterhase bei Aldi und Lidl jetzt zum ‹Sitzhasen› umetikettiert.» Diese Beiträge wurden vielfach geteilt und sorgten für Ängste um Traditionen. Eine Rentnerin kommentierte: «Alles nur noch lächerlich, was man mit unseren Traditionen macht.» Eine andere Frau meinte: «Wieder ein Stück unserer Kultur verdrängt.»
Die AfD verbreitete die Osterhasen-Falschinformation mit mehreren Accounts auf Facebook.
Facebook
Und dann kam die Schweiz
Am 11. April griffen Schweizer Politiker*innen die Diskussion auf. Eine Aargauer SVP-Politikerin postete ein Bild eines Coop-Schokoladenhasen und fragte provokant: «Sitzhase? Ernsthaft? Wann kommt der Ramadan-Schokomond?»
Vivienne Huber (SVP) auf X: «Sitzhase? Ernsthaft?Wann kommt der Ramadan-Schokomond?»
Screenshot
Ein Luzerner EDU-Politiker kommentierte ebenfalls: «Wie weit soll diese Anbiederung noch gehen? Als online gegen den Mohrenkopf protestiert wurde, nahm Migros ihn sofort aus dem Sortiment. Reagieren die Händler auch, wenn normale Bürger protestieren?» Die Beiträge erreichten Zehntausende und wurden sogar von drei Nationalrätinnen aufgenommen.
Schliesslich griffen auch Schweizer Medien das Thema auf. Der «Blick» titelte etwa: «Islamisierung der Ostern?» und das Portal «nau.ch» fragte: «Wurde der Osterhase wegen ‹Wokeness› in ‹Sitzhase› umbenannt?»
Rage Bait statt Fakten
Um zu verstehen, warum diese Debatten politisch wirksam sind, hilft der Begriff «Rage Bait». Er beschreibt eine manipulative Taktik, bei der bewusst Empörung provoziert wird. Ursprünglich stammt die Methode aus sozialen Netzwerken wie TikTok, Instagram oder YouTube, um Klicks und Einnahmen zu generieren.
Diese «Rage-Bait»-Taktik kann aber auch politisch genutzt werden. Der Politikwissenschafter Jared Wesley sprach 2022 in einem Interview mit «The Tyee» davon, dass rechte Politiker mit empörenden Geschichten bewusst Wut schüren: «Sie wissen, wie sie diese Narrative füttern müssen.» Dabei werden nicht nur offensichtlichen Lügen wie das zum Osterhasen-Verbot verbreitet. «Manchmal reichen auch offensichtliche Lügen, um den Nährboden für diese Wut zu schüren», sagte Wesley.
Der Grund: Nicht alle Leute lesen das, was sie «liken», weiterverbreiten oder kommentieren. Das belegen mehrere Studien. Eine Studie stellte zudem fest, dass dieses oberflächliche Lesen dazu führt, dass Falschinformationen beim Publikum hängen bleibt. Hinzu kommt, dass Internet-Nutzer*innen selten Inhalte nachprüfen, wenn sie empört sind. Verstärkt wird das dann, wenn ein empörender Beitrag die eigene Weltsicht bestätigt.
Zum Schluss noch dies: Nein, die Osterhasen wurden nicht umbenannt. Das zeigen verschiedene historische Beispiel. 1983 bewarb Denner zum Beispiel bereits Rast-Sitzhasen, Milka-Stehhasen und einen Pfister-Groteskhasen zu Ostern.
Am 22. März 1983 inserierte Denner ein Inserat in der NZZ, wo unter anderem ein Sitzhase, ein Stehhase und andere Produkte zu Ostern beworben wurden.