Solidarität wird strapaziert Sieben Milliarden von aktiven Versicherten zu Rentnern umverteilt

SDA

8.5.2018 - 12:24

In der beruflichen Vorsorge hat die Umverteilung von aktiven Versicherten zu Rentnern aus Sicht der Oberaufsichtskommission ein kritisches Niveau erreicht. Das Solidaritätsprinzip werde strapaziert, warnt die Kommission.

Nach dem Scheitern der Rentenreform steige der Reformdruck, sagte Kommissionspräsident Pierre Triponez am Dienstag vor den Medien in Bern. Die Sicherung der Altersvorsorge dulde keinen weiteren Aufschub. Eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes in der zweiten Säule sei "mehr als überfällig".

Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) präsentierte nicht nur ihren Jahresbericht, sondern auch eine Analyse über die Zeit. In den letzten vier Jahren sind demnach pro Jahr durchschnittlich 7,1 Milliarden Franken jährlich von den aktiven Versicherten hin zu den Rentnern umverteilt worden. Das ist knapp ein Prozent der gesamten Vorsorgekapitalien.

Anhaltende Finanzierungslücke

Auch im Jahr 2017 haben zwar viele Vorsorgeeinrichtungen die technischen Zinssätze und die zukünftigen Zinsversprechen gesenkt. Allerdings blieben die durchschnittlichen Zinsversprechen weiterhin substanziell höher als die durchschnittlich verwendeten technischen Zinssätze.

Bleibe das Marktzinsniveau auf dem aktuellen tiefen Stand, so müssten einige Vorsorgeeinrichtungen nochmals Anpassungen zur Sicherung der laufenden Renten und der zukünftigen Rentenversprechen vornehmen, schreibt die OAK BV. Leittragende der anhaltenden Finanzierungslücke seien die aktiven Versicherten und die Arbeitgeber.

Längeres Leben, tiefere Renditen

Im obligatorischen Bereich - bei Löhnen bis 84'000 Franken - wird die Rentenhöhe mittels des gesetzlichen Mindestumwandlungssatzes bestimmt. Dieser wurde von ursprünglich 7,2 Prozent in mehreren Schritten auf die heute geltenden 6,8 Prozent reduziert.

Das Stimmvolk hat die Rentenreform von Bundesrat Alain Berset abgelehnt. Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge fordert nun, dass die Politik rasch handelt. Der Mindestumwandlungssatz müsse gesenkt werden. (Archivbild)
Das Stimmvolk hat die Rentenreform von Bundesrat Alain Berset abgelehnt. Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge fordert nun, dass die Politik rasch handelt. Der Mindestumwandlungssatz müsse gesenkt werden. (Archivbild)
Source: KEYSTONE/LUKAS LEHMANN

Das darin enthaltende Zinsversprechen seien aber nicht gefallen, sondern gestiegen, sagte Vera Kupper Staub, die Vizepräsidentin der Kommission. Weder der Anstieg der Lebenserwartung noch das gesunkene Zins- und Ertragsniveau seien ausreichend berücksichtigt worden.

Überschüsse bis 1995

Zwischen 1985 und 2017 sind sowohl die erwarteten wie auch die realisierten Anlageerträge deutlich gesunken. Für die Pensionierungsjahre 1985 bis 1995 übertrafen die realisierten Anlagerenditen das Zinsversprechen. Auf diesen Rentnerkapitalien wurde also mehr Ertrag erwirtschaftet als für die Rentenzahlungen notwendig war.

Ab dem Pensionierungsjahr 1995 begann sich die Schere zu öffnen. Bis zum Pensionierungsjahr 2007 entsprach die erwartete Anlagerendite noch ungefähr dem Zinsversprechen. Seit 2007 jedoch sind auch die erwarteten Anlagerenditen kleiner als die Zinsversprechen.

Verteilung klären

Die gesetzlichen Vorgaben seien in den letzten zehn Jahren bezüglich der Lebensdauer zu pessimistisch und bezüglich der Anlageerträge zu optimistisch gewesen, stellt die Oberaufsichtskommission fest. Der BVG-Mindestumwandlungssatz sollte gesenkt und flexibilisiert werden. Falls gewünscht sei eine transparente Zusatzfinanzierung gesetzlich zu ermöglichen.

Die Oberaufsichtskommission weist darauf hin, dass die Vorsorgeeinrichtungen dereinst auch wieder Erträge erwirtschaften könnten, die über den Zinsversprechen liegen. Deshalb müssten sie sich rechtzeitig mit der Frage auseinandersetzen, wie allfällige Überschüsse zwischen den aktiven Versicherten und den Rentnern sowie zwischen den verschiedenen Rentnergenerationen zu verteilen seien.

Weisung zum technischen Zinssatz

Die OAK BV wird aber auch selbst aktiv. Im laufenden Jahr will sie eine Weisung für den technischen Zinssatz erlassen. Damit reagiert sie auf einen Entscheid der Kammer der Pensionskassenexperten. Diese hatte im November die Inkraftsetzung einer revidierten Richtlinie zum technischen Zinssatz abgelehnt.

Unter anderem will die OAK BV nun vorschreiben, dass der technische Zinssatz kassenspezifisch unter Berücksichtigung der Struktur der Kasse festzulegen ist. Der Zinssatz muss unterhalb der erwarteten Rendite der Kasse liegen. Zudem soll es eine Obergrenze geben.

Gutes Anlagejahr

Das Problem der Finanzierungslücke bleibt zwar bestehen, wie die OAK BV betont. Doch im Jahr 2017 lagen die Renditen über den Erwartungen. Die Vorsorgeeinrichtungen konnten ihren Deckungsgrad deshalb verbessern, im Durchschnitt auf 110,8 Prozent, gegenüber 107,1 Prozent im Vorjahr.

Per Ende 2017 wiesen 99 Prozent der privat- und der öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie einen Deckungsgrad von mindestens 100 Prozent aus. Im Vorjahr waren es 88 Prozent gewesen.

Die von der Kommission erfassten Vorsorgeeinrichtungen verwalteten 988 Milliarden Franken (Vorjahr: 914 Milliarden). Mit Freizügigkeitseinrichtungen, Wohlfahrtsfonds und 3a-Einrichtungen liegt die Summe über 1000 Milliarden Franken.

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