Grundrechte verletzt? Auch Überwachung muss kontrolliert werden können

SDA/uri

28.12.2020 - 14:41

IP-Adresse und andere Netzwerkdaten auf einem Bildschirm: 
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Bild: dpa

Hat der Nachrichtendienst mit seiner Überwachungspraxis die Grundrechte verletzt? Das muss laut Bundesgericht überprüft werden – auch wenn die Vorinstanzen nichts davon wissen wollten.

Zum Schutz  wichtiger Landesinteressen kann der Nachrichtendienst des Bundes NDB auch relevante Daten im Inland und im Ausland durch Funk- und Kabelaufklärung erfassen. Das ist durch das Nachrichtendienstgesetz geregelt. Das Bundesgericht in Lausanne hiess nun eine Beschwerde gut, wonach das Bundesverwaltungsgericht muss, ob diese Art der Aufklärung die Grundrechte der Beschwerdeführer verletzt und auch welche Rechtsfolgen daraus gegebenenfalls resultieren. 

Das Bundesverwaltungsgericht muss prüfen, ob mit der Funk- und Kabelaufklärung durch den Nachrichtendienst (NDB) die Grundrechte von sieben Beschwerdeführern verletzt werden. Diese hatten mit dem Verein «Digitale Gesellschaft» vom NDB vergeblich eine Unterlassung der Aufklärung verlangt.

Das Bundesverwaltungsgericht trat 2019 nicht auf eine Beschwerde des Vereins und der Privatpersonen ein. Diesen Entscheid hat das Bundesgericht in einem am Montag veröffentlichten Urteil nun aufgehoben.

Es weist die Sache zur materiellen Prüfung ans Bundesverwaltungsgericht zurück. Dieses muss bei einer Bejahung einer Grundrechtsverletzung entscheiden, welche rechtlichen Folgen dies hat. Bei der Prüfung der allfälligen Grundrechtsverletzung muss die Vorinstanz gemäss Bundesgericht untersuchen, ob das geltende Regime der Funk- und Kabelaufklärung einen angemessenen und wirksamen Schutz vor Missbrauch bietet.

Dabei seien nicht nur die gesetzlichen Grundlagen zu beachten, sondern auch die Vollzugspraxis und wie effektiv die vorgesehenen Kontrollmechanismen sind. Falls nötig, sind laut Bundesgericht dafür auch Berichte von Überwachungs- und Aufsichtsinstanzen und sachverständigen Personen einzuholen.

Interne Prüfung ist zentral

Das Bundesgericht weist in seinem Entscheid auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hin. Darin wird die zentrale Bedeutung des innerstaatlichen Rechtsschutzes bei der Überprüfung von geheimen Systemen zur Massenüberwachung betont. Solche Systeme müssten mindestens von einer unabhängigen Stelle geprüft werden können, bevor Betroffene an den EGMR gelangten.

Internet-Knoten bieten sich als Zugriffspunkte für Geheimdienst an. (Symbolbild)
Internet-Knoten bieten sich als Zugriffspunkte für Geheimdienst an. (Symbolbild)
Bild: dpa

Das Bundesverwaltungsgericht hatte argumentiert, die Beschwerdeführer könnten auf dem Weg des Datenschutzgesetzes Einsicht über allenfalls über sie gesammelte und damit bearbeitete Daten verlangen. Dieses Vorgehen greift gemäss Bundesgericht jedoch nicht.

Die Funk- und Kabelaufklärung sei geheim und davon Betroffene würden auch nachträglich nicht darüber aufgeklärt. Verlange jemand auf der Basis des Datenschutzgesetzes Auskunft, könne ein überwiegendes Interesse an einer Geheimhaltung geltend gemacht werden. Betroffene müssten dann maximal bis zum Ende der Aufbewahrungsdauer warten, was zum Teil mehrere Jahrzehnte dauern könne.

Das Bundesgericht betont in seinem Urteil, dass nicht das Gesetz über die Funk- und Kabelaufklärung vom Bundesverwaltungsgericht auf seine Übereinstimmung mit übergeordnetem Recht geprüft werden müsse, sondern das System als solches. Das Bundesgericht stellt auch die Möglichkeit in den Raum, dass allenfalls nur die Einstellung der Funk- und Kabelaufklärung einen wirksamen Grundrechtsschutz darstellen könnte.

Der Verein «Digitale Gesellschaft» hat besonders diesen Punkt im Urteil des Bundesgerichts mit Freude zur Kenntnis genommen, wie einer Medienmitteilung zu entnehmen ist. Der Verein setzt sich für die Freiheitsrechte in der digitalen Welt ein. Vor dem EGMR ist eine Beschwerde gegen die Massenüberwachung mittels Vorratsdatenspeicherung hängig. (Urteil 1C_377/2019 vom 1.12.2020)

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