Verschwörungstheorien Und plötzlich sind Millionen von Menschen in die Irre geführt

Von Julia Käser

25.2.2020

AfD-Wählende teilen Verschwörungstheorien besonders oft. Doch auch in der Schweiz ist verschwörungstheoretisches Denken verbreitet, wie der neueste Antisemitismusbericht zeigt.
AfD-Wählende teilen Verschwörungstheorien besonders oft. Doch auch in der Schweiz ist verschwörungstheoretisches Denken verbreitet, wie der neueste Antisemitismusbericht zeigt.
Bild: Keystone

Der rechtsextreme Terror in Hanau und die Reaktionen darauf haben erneut gezeigt, dass Verschwörungstheorien massiv auf dem Vormarsch sind. Warum das so bedenklich ist, sagt ein Experte «Bluewin».

«Ich weiss nicht mehr was ich glauben soll, in dieser Welt werden leider nur noch Lügen verbreitet.» Das steht als Kommentar unter dem Video eines deutschen Youtubers zum rechten Terror in Hanau mit elf Toten. Der junge Youtuber teilt im Clip Sprachnachrichten, unter anderem von vermeintlichen Augenzeugen, es wird wild über die Täterschaft spekuliert – der Youtuber glaubt jedenfalls: Die Polizei hat den Falschen.

Eine kritische Prüfung der Quellen? Fehlanzeige. Er habe bloss all jenen, die sich selbst ein Bild zum Tathergang machen wollten, schnelle Infos geliefert. Das sagt der Mann, der sich selbst als «ein Zahnrad in der Wahrheitsbewegung» beschreibt.

Zwei Tage nach der Veröffentlichung gibt er in einem weiteren Video zu: «Es kann auch alles gefälscht sein.» Zu diesem Zeitpunkt ist der ursprüngliche Clip bereits von mehr als einer halben Million Menschen angeklickt und gehört worden.

Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur

Verschwörungstheorien befinden sich auf dem Vormarsch. Das hat der deutsche Extremismus-Experte Florian Hartleb kürzlich «Bluewin» bestätigt – Hartleb macht es in Deutschland am Beispiel des Reichsbürger-Bündnisses fest. Dieses glaubt an die totale Überwachung Deutschlands durch einen US-Geheimdienst.



Auch der neueste Antisemitismusbericht des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) zeigt: Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur. Wie dem Bericht zu entnehmen ist, kursieren hierzulande aktuell verschiedenste Theorien, die auf eine angebliche «jüdische Weltverschwörung» hindeuteten.

Neu ist das verschwörungstheoretische Denken keinesfalls – doch: «Die Struktur des Internets kommt ihm entgegen. Während man in der Bibliothek vielleicht ein Buch findet, das die Mondlandung anzweifelt, sind es im Internet in Sekundenschnelle tausende Beiträge», sagt Medienpädagoge Philippe Wampfler zu «Bluewin».

Eine Verschwörungstheorie sei in erster Linie eine alternative Erklärung für eine Gegebenheit, die den Leuten Angst einjage oder besonders grosses Interesse erwecke. Im Netz könne diese leicht geteilt werden und fände ein Publikum, das darauf anspringe. «So trifft Angebot auf Nachfrage.»

Gemäss Wampfler liegt der Ursprung der meisten Verschwörungstheorien in einem Ereignis, das sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt hat. «Es sind unerklärliche oder schockierende Geschehnisse, die ein Bedürfnis nach Simplifizierung hervorrufen.» Man suche nach einer Erklärung, um das schlechte Gefühl zu beseitigen.

Rechter Terror und Verschwörungstheorien

Christchurch, Halle, Hanau – in all diesen Fällen von rechtsextremistischen Anschlägen glaubten die Täter an bestimmte Verschwörungstheorien. Reiner Zufall? «In rechten Kreisen herrschen andere Ideologien, die anfällig sind für Verschwörungstheorien», sagt Wampfler. Tatsächlich zeigt eine aktuelle Studie der Universität Leipzig, dass AfD-Wählerinnen und -Wähler Verschwörungstheorien besonders oft teilen.

Wampfler sagt, die Verbreitung von extremen Botschaften könne mitunter eine Strategie von Politikerinnen und Politikern sein, um ein Publikum zu mobilisieren, das anderweitig nie erreicht werden würde. Hier scheint sich der Kreis zwischen der AfD und ihren Wählenden zu schliessen.



Doch das ist nicht alles. So erhöhen im Netz verbreitete Verschwörungstheorien laut Wampfler das Risiko von stochastischem Terrorismus. Dieser werde nicht etwa von Netzwerken verübt, sondern von Einzeltätern, die entsprechende Videos konsumierten und darin eine Antwort auf ihre verzweifelte Lebenssituation fänden. «Die Theorien sind so aufgebaut, dass jegliche Geschehnisse damit erklärt werden können. Darauf greifen Radikalisierte zurück.»

Was kann man gegen Verschwörungstheorien tun?

Argumentativ kann man einer Verschwörungstheorie laut Wampfler kaum entgegenwirken. «Kritik oder widerlegende wissenschaftliche Erkenntnisse sind am Ende nur eine Bestätigung für das verschwörungstheoretische Denken. Dieses suggeriert ja gerade, dass die Regierung will, dass die Leute etwas Bestimmtes als Wahrheit anerkennen.»

Entscheidend bei der Eindämmung von Verschwörungstheorien sei vor allem die soziale Einbindung von Personen, die in solche Denkweisen abdrifteten – und ihre gesellschaftliche Perspektive.

«Es ist wichtig, ihnen zu zeigen, dass sie angehört und ernstgenommen werden – schlicht, dass sie ein Teil von uns sind.»

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite