Zuwanderung Eine «Kurtaxe für EU-Bürger» – der alte Streit treibt neue Blüten

uri

16.9.2019

Ob die Zuwanderung der Schweiz eher nützt oder im Gegensatz schadet, darüber bestehen nicht nur in der Politik Meinungsverschiedenheiten. (Symbolbild)
Ob die Zuwanderung der Schweiz eher nützt oder im Gegensatz schadet, darüber bestehen nicht nur in der Politik Meinungsverschiedenheiten. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Der Nationalrat debattiert heute über die Begrenzungsinitiative. Geht es nach der SVP, wird die Personenfreizügigkeit gekündigt. Abermals streiten aktuell auch Ökonomen über die Vor- und Nachteile der Zuwanderung.

Es dürfte leidenschaftlich gestritten werden, wenn der Nationalrat heute Nachmittag über die Begrenzungsinitiative debattiert: Schliesslich geht es bei der Diskussion – «Bluewin» wird sie mit einem Live-Ticker begleiten –, um ein komplexes Thema und um weit mehr als nur die Zuwanderung.

Initiatoren der Initiative «Für eine massvolle Zuwanderung» sind die SVP und die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns). Alle anderen Parteien lehnen sie ab. Auch der Bundesrat tut dies. Da die Personenfreizügigkeit mit sechs anderen Verträgen mit der EU verknüpft ist, befürchten die Gegner des Volksbegehrens im Fall der Annahme das Aus für die gesamten Bilateralen I. Justizministerin Karin Keller-Sutter spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem «Schweizer Brexit».

Dass sich das Thema trefflich zur Schärfung der eigenen Positionen vor den nationalen Wahlen anbietet, liegt auf der Hand. Die Vor- und Nachteile der Zuwanderung werden auch abseits der Politik kontrovers diskutiert.

«Kurtaxe für Ausländer»

Schweizer Wirtschaftswissenschaftler vertreten entgegengesetzte Positionen. Reiner Eichenberger, Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, etwa meint gegenüber SRF, dass die Zuwanderung der Schweiz mehr schade als nütze. Mit dem derzeitigen Wachstum der Bevölkerung einher gingen Verkehrsprobleme, der grössere Ausstoss von Klimagasen und Lehrermangel. Das alles verursache hohe Kosten, «wenn man nur endlich mal richtig rechnen würde».

Eichenberger bringt deshalb eine neue Komponente bei der Zuwanderungspolitik ins Spiel. Die Einwanderung solle nicht mehr gratis sein, stattdessen brauche es eine Art «Kurtaxe für Ausländer». Nach seinen Vorstellungen sollten EU-Bürger zwar weiterhin in die Schweiz einwandern können, in den ersten drei bis fünf Jahren jedoch eine Abgabe leisten, etwa zwölf bis 15 Franken am Tag. Falls sich potenzielle Zuwanderer davon abschrecken lassen würden, müsste man dann sagen: «Ja danke!»

Der Umstand, dass immer weniger Personen aus der EU in die Schweiz kommen und sich die Nettozuwanderung in etwa halbiert hat, liegt nach Eichenberger nicht nur darin begründet, dass sich in den Heimatländern der Zuwanderer die Wirtschaftslage verbessert habe. Die Schweiz sei auch überfüllt und unattraktiver geworden.

Schweiz profitiert von Zuzüglern

Fabian Schnell, Senior Fellow und Forschungsleiter Smart Government beim Thinktank Avenir Suisse, vertritt gegenüber SRF die Gegenposition zu Eichenberger. Er meint, die Schweiz profitiere vor allem von den Zuzüglern aus der EU. Bei ihnen handele es sich nämlich in erster Linie um qualifizierte Fachkräfte, die viel verdienen und konsumieren. «Wer hier arbeitet, trägt etwas zum Wirtschaftswachstum in der Schweiz bei und zahlt in der Regel überdurchschnittlich Steuern», sagt Schnell.

Entsprechend sei es nicht nutzbringend, «hier noch zusätzliche Hürden einzubauen». Ohne die Fachkräfte aus dem Ausland sei die Schweiz schliesslich auch weniger produktiv.

81 Redner warten im Nationalrat

Die Nationalratsdebatte wird heute wahrscheinlich nicht beendet, haben sich auf der Rednerliste 81 Personen eingetragen, allein 40 davon aus der SVP-Fraktion. Es wird mit einer achtstündigen Debatte gerechnet. Das heutige Zeitfenster beträgt aber nur sechs Stunden (bis 21.45 Uhr). In der nächsten Woche ginge es dann weiter.

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates, die die Vorlage vorberaten hat, will sie mit 16 zu 8 Stimmen dem Volk und den Ständen zur Ablehnung empfehlen. Auch im Ständerat werden ihr keine Chancen eingeräumt.

Die Frage, ob am Ende das Volk abschliessend über die Kündigung der Personenfreizügigkeit abstimmen würde, stellt sich übrigens nicht: Der Initiativtext hält explizit fest, dass der Bundesrat in alleiniger Kompetenz kündigen müsste. Eine Mitsprachemöglichkeit des Parlaments oder des Stimmvolks ist nicht vorgesehen.

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