Die GründeDarum werden schon jetzt unter 75-Jährige geimpft
tafu
25.1.2021
Die Menge an Corona-Impfstoff reicht noch lange nicht, um jeden impfwilligen Schweizer zeitnah zu immunisieren. Trotzdem erhalten auch einzelne Jüngere jetzt die Impfung – aus guten Gründen.
Eine 90-jährige Bewohnerin eines Altersheims im Kanton Luzern war die Erste: Am 23. Dezember 2020 wurde die erste offizielle Impfdose in der Schweiz verabreicht. Nach langem Warten dürfen die Menschen wieder hoffen auf baldige Entspannung im Kampf gegen das Corona-Virus. Doch ganz so schnell geht es dann leider doch nicht: Auch wenn bereits zwei Impfstoffe zugelassen sind, fehlen die Mengen, um schnell jeden Impfwilligen im Land zu bedienen.
Umso erstaunlicher scheint es, dass auch Menschen, die zu keiner der priorisierten Gruppen gehören, bereits eine Impfung erhalten haben. Die Covid-19-Impfstrategie des Bundes besagt, dass zuerst Personen ab 75 Jahren, mit chronischen Krankheiten mit höchstem Risiko sowie Personen, die in einem Alters- oder Pflegeheim wohnen, geimpft werden sollen.
Bevorzugung von Reichen bei Impfung?
So sorgte besonders der Fall des 70-jährigen südafrikanischen Milliardärs Johann Rupert für Aufsehen, der sich im Kanton Thurgau noch vor dem offiziellen Impfstart immunisieren liess. Ein «Fehler», wie er im Nachhinein im Interview mit der «SonntagsZeitung» eingesteht. Doch, so erklärt er weiter, gebe es immer wieder Leute, die zu Impfstoffen kämen, obwohl sie eigentlich nicht berechtigt wären. «Ein Freund von mir, er wohnt in Zürich, hat gesagt, er lasse sich nächste Woche impfen, und er ist 55-jährig», verrät Rupert.
Aber wie kann das möglich sein, wenn sich doch die Kantone an die Impfstrategie des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) halten?
Tatsächlich gibt es Fälle, in denen Personen, die nicht priorisiert sind, bereits jetzt eine Impfung bekommen haben. Das hat aber nichts mit illegalen Absprachen oder Bevorzugung von Reichen zu tun, sondern hat ganz praktische Gründe, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
Bei den Impfungen gegen Corona kommt es an einzelnen Tagen immer wieder zu überzähligen Dosen. Ein möglicher Grund hierfür ist, dass genug Impfstoff für eine weitere Impfung in der Ampulle übrig bleibt. Auch Angemeldete, die nicht zu ihrem vereinbarten Termin erschienen sind, sorgen für überzählige Dosen. Da Restmengen nicht beliebig lange aufbewahrt werden können und möglichst nicht im Abfall landen sollen, braucht es zur raschen Verimpfung flexible Impfwillige, die schnell vor Ort sein können.
Beim Impfen ist Eile geboten
Insbesondere der Impfstoff von Pfizer-Biontech erfordert ein bestimmtes Vorgehen bei der Verabreichung. Zunächst wird er aufgetaut, dann verdünnt und anschliessend muss er innerhalb von sechs Stunden verabreicht werden.
«Wegen der komplexen Logistik konnte Impfstoff nicht verimpft werden und wurde stattdessen entsorgt», erklärt der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Es handle sich zwar um Einzeldosen und nicht um ganze Flaschen, doch bemühe man sich, die Restmengen mit Impfwilligen aufzubrauchen.
Dieser Herausforderung begegnen viele Kantone mit einer sogenannten «Jokerliste». So führt beispielsweise der Kanton Thurgau seit Dezember eine solche Liste, auf der Personen stehen, die gern geimpft werden möchten. Diese müssen nicht zwingend über 75 Jahre alt oder chronisch krank sein, auch wenn man nach Möglichkeit aber eben diese Personengruppe vorzieht.
Allerdings gebe es hier aufgrund der Verfügbarkeiten auch Ausnahmen, erklärt Thomas Walliser Keel, der Kommunikationsverantwortliche des Kantons Thurgau. «Oberste Priorität ist, dass keine Impfung verworfen werden muss.» Im akuten Fall erhalten Personen dieser Liste zwischen 18 und 19.30 Uhr einen Anruf und müssen dann innerhalb von einer Stunde im Impfzentrum erscheinen. Pro Tag seien das etwa drei bis vier Personen.
Diese Jokerliste ist im Kanton St. Gallen Sache der einzelnen Alters- und Pflegeheime. Darauf stehen nach Aussage des kantonalen Gesundheitsdepartments fünf bis zehn impfwillige Personen, die telefonisch erreichbar und «innerhalb von 30 Minuten vor Ort sein können».
Kein Impfstoff soll im Müll landen
Im Kanton Zürich wird eine solche Liste von den Heimärzten geführt, wobei die Personen darauf aus dem Arbeitsumfeld des Heimes stammen. Es komme auch vor, dass es sich dabei um Patienten aus der Praxis des Arztes handle, erklärt der Projektleiter der kantonalen Impfaktion, Markus Näf. Auch hier richte man sich nach Möglichkeit nach der Prioritätenliste des Bundes.
Doch: «Wichtig sei, dass kein Impfstoff weggeworfen werde.» Daher gebe es auch Impfzentren, in denen die überschüssigen Dosen dem Personal gespritzt werden. Das ist auch in den Kantonen Bern, Baselland, Aargau und Luzern der Fall.
Im Kanton Schaffhausen wurde stattdessen ein Reservepool an Hochrisiko-Patienten gebildet. Diese wurden von ihren Ärzten zwar zum Impfen gemeldet, hatten aber aufgrund der beschränkten Mengen bisher keinen Termin erhalten.
Wie viele Impfwillige so bereits in den Genuss einer frühzeitigen Impfung gekommen sind, darüber gibt es nicht viele Daten. Von 11'000 Impfungen, die im Kanton Basel-Stadt seit dem 28. Dezember durchgeführt worden sind, haben ingesamt 150 Personen in Heimen und 50 Personen in Impfzentren von den Restmengen profitiert.