Mutation breitet sich aus Wie gefährdet ist die Schweiz durch die Delta-Variante?

Von Anne Funk

24.6.2021

Den Schweizerinnen und Schweizern stehen weitere Lockerungen bevor. Könnte die Ausbreitung der Delta-Variante die aktuell gute Corona-Lage gefährden?
Den Schweizerinnen und Schweizern stehen weitere Lockerungen bevor. Könnte die Ausbreitung der Delta-Variante die aktuell gute Corona-Lage gefährden?
Bild: Keystone/Lauret Gillieron

Weltweit nimmt der Anteil der Delta-Variante zu, auch in der Schweiz sind schon etwa zehn Prozent der Neuinfektionen auf sie zurückzuführen. Wie hoch ist die Gefahr tatsächlich?

Von Anne Funk

24.6.2021

Die Corona-Lage in der Schweiz scheint entspannt, am Samstag stehen weitgehende Lockerungs- und Öffnungsschritte an. Doch könnte der Schein trügen? Besonders im Hinblick auf die Delta-Variante besteht Sorge, breitet sie sich doch in vielen Ländern immer stärker aus.

So meldet das Robert-Koch-Institut am Mittwochabend für Deutschland eine Verdopplung des Anteils der als besorgniserregend eingestuften Delta-Variante auf über 15 Prozent. Grossbritannien musste wegen der starken Ausbreitung bereits Lockerungsschritte verschieben, die portugiesische Hauptstadt Lissabon wurde aufgrund der starken Verbreitung für ein komplettes Wochenende abgeriegelt.

Delta ist wesentlich ansteckender

Nach bisherigen Daten ist Delta die ansteckendste bisher bekannte Corona-Variante. Epidemiologischen Daten aus Grossbritannien zeigen bei Delta eine höhere Wachstumsrate als bei der erstmals in Grossbritannien entdeckten Alpha-Variante, erklärt Dr. Pauline Vetter von der Abteilung für Infektionskrankheiten am Universitätsspital Genf auf Nachfrage von «blue News». 

Während für das ursprüngliche Coronavirus angenommen wurde, dass ein Infizierter, wenn keinerlei Corona-Massnahmen getroffen werden, durchschnittlich rund drei bis vier andere Menschen ansteckt, waren es für Alpha bereits rund fünf Ansteckungen. Bei Delta kommen offenbar weitere 40 bis 60 Prozent hinzu.

Ein von dem Epidemiologen Eric Feigl-Ding auf Twitter geteilter Bericht über einen Delta-Ausbruch in Australien sorgte kürzlich für Aufsehen und bestätigt offenbar diese Vermutung. Dort sollen sich in einem Einkaufszentrum Menschen infiziert haben, ohne engen oder direkten Kontakt zu einer erkrankten Person gehabt zu haben.

Solche Berichte seien zwar generell schwierig zu bewerten, teilte das RKI auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit. Denn ein zentrales Merkmal von Übertragungen über Aerosole sei, dass sie unbemerkt geschehen und daher eine Zuordnung zu einem bestimmten Kontakt schwierig sei. Allerdings weisen die hohen Ansteckungsraten in Haushalten und bei Ausbrüchen durch Delta darauf hin, dass die Variante auch ohne engen Kontakt leichter übertragbar sei als Alpha.

Variante wird Ende August dominieren

Dass die Delta-Variante auf dem Vormarsch ist, bestätigt auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC). Laut einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht  werde die Mutante bald zur dominanten Ursache von Corona-Infektionen werden.



«Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Delta-Variante während des Sommers stark zirkulieren wird», erklärte ECDC-Direktorin Andrea Ammon. Bis Ende August werden demnach 90 Prozent aller Corona-Neuinfektionen in der EU und den mit ihr verbundenen Ländern Norwegen, Island und Liechtenstein auf Delta zurückzuführen sein.

Delta bereitet «ein bisschen Sorgen»

Experten erwarten, dass die Delta-Variante auch in der Schweiz vorherrschend wird. Ebenso war es geschehen, als sich die Alpha-Mutante ausbreitete, die ebenfalls ansteckender als ihre Vorgänger war.

Die Schweiz befinde sich in einem Wettlauf mit der Pandemie und den Varianten, bestätigte auch Anne Lévy, Direktorin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) an einer Medienkonferenz am Dienstag. «Je schneller wir impfen, desto besser.»



Auch Patrick Mathys, Leiter der Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit beim BAG, erklärte an der Konferenz, dass die Ausbreitung derzeit «ein bisschen Sorgen» bereite.

Die Zunahme der Variante sei auch in der Schweiz in den vergangenen Tagen relativ deutlich gewesen. «Wir müssen davon ausgehen, dass inzwischen wahrscheinlich etwa zehn Prozent oder mehr der Infektionen in der Schweiz auf diese Variante zurückzuführen ist», so Mathys.

Vollständige Impfung ist ausschlaggebend

Ein entscheidender Faktor, um die aktuell gute Corona-Lage nicht zu gefährden, ist also der Impffortschritt. Das Problem: Nur wer bereits zweifach geimpft ist, hat ausreichenden Schutz auch gegen die Delta-Variante.

«Es gibt Hinweise darauf, dass diejenigen, die nur die erste Dosis einer Zwei-Dosen-Impfung erhalten haben, weniger gut gegen eine Infektion mit der Delta-Variante geschützt sind als gegen andere Varianten», heisst es in dem Bericht des ECDC. Eine vollständige Impfung biete jedoch einen nahezu gleichwertigen Schutz gegen die Delta-Variante.



Des Weiteren würden erste Daten aus Grossbritannien zeigen, dass einige Impfstoffe besser gegen die Delta-Variante schützen als andere, so Pauline Vetter zu «blue News». Die Schutzkraft scheint im Labor und im wirklichen Leben bei dem Boten-RNA-Impfstoff grösser zu sein als beim AstraZeneca-Impfstoff.

Auch wenn sich also die Delta-Variante derzeit vermehrt in der Schweiz ausbreitet, ist die Situation inzwischen eine andere als bei der zuvor vorherrschenden Alpha-Variante. Wesentlich mehr Menschen sind inzwischen geimpft und damit grösstenteils geschützt gegen die neue Variante. 

Neue Sorgen-Variante Delta Plus

In Indien sorgt man sich inzwischen um eine neue Corona-Variante: Delta Plus. Die Mutation der Delta-Variante soll besonders ansteckend sein und sich stärker an Lungenzellen binden, hiess es in einer Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums in Neu-Delhi. 



Inzwischen seien rund 40 «Delta Plus»-Fälle in drei indischen Bundesstaaten sowie weitere Fälle in neun anderen Ländern erfasst worden, teilte der Gesundheitsminister am Mittwoch mit. Genannt wurden unter anderem die Schweiz, USA, China und Russland sowie Polen, Portugal und Grossbritannien. Wissenschaftler erklären allerdings, dass es noch wenig Daten gebe, man wolle die Variante nun stärker untersuchen.