32 Jahre nach Tschernobyl Wie radioaktiv belastet sind Pilze in Schweizer Wäldern noch?

jfk/sda

29.10.2018

Steinpilze, in denen sich durch den Reaktorunfall von Tschernobyl noch immer radioaktives Cäsium anreichert, werden im Auftrag des BAG auf ihre Strahlenbelastung untersucht. (Archiv)
Steinpilze, in denen sich durch den Reaktorunfall von Tschernobyl noch immer radioaktives Cäsium anreichert, werden im Auftrag des BAG auf ihre Strahlenbelastung untersucht. (Archiv)
Bild: Keystone

Der Reaktorunfall von Tschernobyl sorgte auch in der Schweiz für eine erhöhte Strahlenbelastung bei Wild und Pilzen. Ein jährlicher Bericht des BAG informiert, wie hoch die radioaktive Verseuchung der Lebensmittel aus dem Wald heute noch ist.

Die Kernschmelze in dem sowjetischen Reaktor am 26. April 1986 hinterliess seine Spuren quer durch Europa. Wind und Regen verteilten radioaktive Partikel weit über den Kontinent. Die oberste Bodenschicht des Waldes, der Humus, ist auch heute noch vielerorts verseucht, und viele Waldpilze reichern strahlende Teilchen wie das Cäsium-137 an.

Die Aktivität des Cäsiums-137 – eines künstlichen, radioaktiven Isotops, das aus der Kernspaltung entsteht – nimmt im Schweizer Freiland ab, nicht nur aufgrund des radioaktiven Zerfalls. Durch weitere Prozesse wie Auswaschung, Erosion und Umlagerung in tiefere Bodenschichten ist die Belastung heute geringer als es die Halbwertszeit von 30 Jahren rechnerisch prognostiziert. Doch immer noch werden Toleranzgrenzen überschritten, wie sie in der Tschernobyl-Verordnung des BAG von 2017 festgelegt sind.

Wildschweine reichern als Trüffelliebhaber erhöhte Mengen an radioaktiven Partikeln an. (Archiv)
Wildschweine reichern als Trüffelliebhaber erhöhte Mengen an radioaktiven Partikeln an. (Archiv)
Bild: Keystone

Von der Nuklearkatastrophe war in der Schweiz das Tessin am stärksten betroffen, vor allem wegen ergiebiger Regenfälle in den Wochen nach dem Unglück. Die Niederschläge trugen radioaktive Partikel aus den Wolken in den Boden. Unmittelbar nach dem Störfall wurden im Tessin unter anderem Fischereiverbote ausgesprochen, und die Zahl der Abtreibungen stieg signifikant aufgrund der – unberechtigten – Angst vor missgebildeten Kindern, wie Blick zum 30sten Jahrestag von Tschernobyl berichtete.

Steinpilz überschreitet Grenzwert

Im Berichtsjahr 2017 der Kontrolluntersuchungen, die das BAG regelmässig durchführen lässt und jährlich veröffentlicht, wurden 69 Pilzproben aus den Kantonen Tessin, Zürich und Aargau gammaspektrometrisch untersucht. Tatsächlich erreichte den höchsten gemessenen Wert für Cäsium-137 mit knapp 1000 Becquerel pro Kilogramm ein Steinpilz aus dem Tessin. Der Toleranzwert für Lebensmittel liegt bei 600 Bq/kg, der Grenzwert bei 1250 Bq/kg. Müssen sich Pilzesammler Sorgen machen?

Bereits vor zwei Jahren erklärte der Leiter des Amts für Umweltrisiken Nicola Solcà gegenüber «Blick», dass bei Wildpilzen aus dem Tessin trotz der schweizweit gesehen überdurchschnittlichen Belastung kein gesundheitliches Risiko für die Bevölkerung bestehe. So sieht es auch der aktuelle BAG-Bericht: Selbst bei starkem Konsum der am meisten mit künstlichen Radionukliden belasteten Lebensmittel – Wildschweinen, Wildpilzen und Wildbeeeren – summiere sich die Gesamtbelastung für den menschlichen Körper auf wenige Hundertsel Millisievert (mSv). Dieser Dosiswert dient zur Bestimmung der Strahlenbelastung für den Menschen. Was heisst das im Vergleich?

Natürliche Radondosis viel höher

Der menschliche Körper nimmt mit normaler Nahrung in Form von natürlichen Radionukliden hierzulande durchschnittlich jährlich 0,35 mSv auf. Noch einmal um ein Vielfaches höher ist die Belastung durch das natürliche radioaktive Edelgas Radon, das aus dem Boden in die Raumluft der Häuser eindringt. Die jährliche Strahlendosis beträgt durchschnittlich 3,2 mSv, kann unter ungünstigen Bedingungen auch wesentlich höher sein und dann ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko bewirken.

Beim Wild ist das Wildschwein durch Tschernobyl am stärksten belastet. Von 547 erlegten und untersuchten Tieren überschritten rund zwei Prozent den Grenzwert von 1250 Bq/kg, der höchste gemessene Wert betrug 4721 Bq/kg. Die betroffene Jagdbeute wurde vom Kantonsveterinär konfisziert, die Jäger entschädigt. Hier ist die Belastung also potenziell höher als bei Speisepilzen, von denen manche wie der beliebte Burgundertrüffel so gut wie kein Cäsium-137 aufweisen. Die direkte Gefährdung des Menschen hängt von der Menge der konsumierten Lebensmittel aus dem Wald ab. Bei einem normalen Verzehr besteht aber laut BAG kein Risiko für die Gesundheit, dafür ist die Dosis einfach zu niedrig.

Blick von der Geisterstadt Prypjat auf den Unglücksreaktor von Tschernobyl 20 Jahre nach der Nuklearkatastrophe. (Archiv)
Blick von der Geisterstadt Prypjat auf den Unglücksreaktor von Tschernobyl 20 Jahre nach der Nuklearkatastrophe. (Archiv)
Bild: Getty Images
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