«Carlos»-Prozess Gericht lehnt sofortige Freilassung von Brian ab

fn, sda

26.5.2021 - 16:00

Gerichtszeichnung von «Carlos» vom 6. März 2017 in Zürich.
Gerichtszeichnung von «Carlos» vom 6. März 2017 in Zürich.
Bild: Keystone/Zeichnung Linda Gaedel

Vor dem Zürcher Obergericht hat die Verhandlung gegen Brian alias «Carlos» begonnen. Die Forderung seiner Anwälte, den 25-Jährigen sofort freizulassen, lehnte das Gericht ab.

26.5.2021 - 16:00

Der Prozess am Zürcher Obergericht gegen den als «Carlos» bekanntgewordenen Straftäter Brian hat ohne den Hauptakteur begonnen. Der 25-Jährige hat sich von der Teilnahme am Prozess dispensieren lassen. Grund für die Dispensation sind die langjährigen Haftbedingungen, die Brian als «schwierig bis unerträglich» empfindet. Er sei deshalb nicht in der Lage, am Prozess teilzunehmen, sagte der Richter gleich zu Beginn.

Obwohl die Haftbedingungen in der Vergangenheit auch gerichtlich als zu hart gerügt wurden, wich der Zürcher Justizvollzug bisher nicht davon ab. Einer seiner drei Anwälte forderte zu Beginn des Prozesses deshalb die sofortige Haftentlassung von Brian. Es seien «Folter-Haftbedingungen», sagte der Anwalt.

Forderung nach sofortiger Entlassung abgelehnt

Sei 900 Tagen sei ihr Mandant den ganzen Tag alleine, das einzige Geräusch stamme von einem Ventilator, so die Anwälte. Einzige Bezugspersonen seien die Wärter, die ihn gemäss eigenen Aussagen aber provozieren und beleidigen würden. Auch körperlich angegriffen hätten sie ihn.

Gemäss seinen Anwälten ist die andauernde Isolationshaft von «Carlos» grausam und unmenschlich. Das sei Folter und müsse deshalb sofort beendet werden. Sie forderten nicht nur, «Carlos» aus der Sicherheitshaft zu entlassen – sondern komplett freizulassen. Sie kündigten zudem an, dass der Uno-Sonderberichterstatter für Folter beim Schweizer Aussenminister intervenieren werde.

Für den Staatsanwalt wäre eine sofortige Haftentlassung jedoch falsch. Die Isolationshaft sei verhältnismässig, weil von «Carlos» nach wie vor eine grosse Gefahr ausgehe. Das Obergericht folgte der Argumentation des Staatsanwaltes und lehnte das Haftentlassungs-Gesuch ab. «Carlos» bleibt somit in der Strafanstalt Pöschwies in Sicherheitshaft, zumindest so lange, bis das Urteil des Obergerichts vorliegt.

Staatsanwalt: «Kleine Verwahrung» nicht durchführbar

Der Zürcher Staatsanwalt verlangte auch vor dem Zürcher Obergericht eine ordentliche Verwahrung für «Carlos». Eine «kleine Verwahrung» mit Therapie, wie sie die Vorinstanz verordnet hatte, sei wegen seiner Renitenz schlicht nicht durchführbar.

Bei «Carlos» fehle nur schon die minimalste Bereitschaft, an einer Therapie teilzunehmen. «Er sieht sich als Märtyrer, der niemals etwas mit einem Psychiater zu tun haben will», sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer.

Die Renitenz und Gewaltbereitschaft stelle den Justizvollzug aber auch vor ganz praktische Gründe. «Wie soll so eine Therapie aussehen? Soll man den Psychiater in einen Schutzkäfig stellen?» Es bleibe nichts anderes, als «Carlos» ordentlich zu verwahren, also ohne Therapie zum Schutz der Öffentlichkeit wegzusperren.

Zusätzlich zur ordentlichen Verwahrung forderte der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von 7,5 Jahren. Vom Bezirksgericht Dielsdorf erhielt er 2019 eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten.

Therapie hinter Gittern

Brian muss sich vor Gericht verantworten, weil er im Gefängnis Pöschwies mehrere Polizisten, Mithäftlinge und Mitarbeiter angriff. Im November 2019 hatte ihn das Bezirksgericht Dielsdorf deshalb zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten verurteilt.

Statt diese Jahre normal abzusitzen, verknurrte ihn das Gericht aber zu einer Therapie hinter Gittern. Es verurteilte Brian zu einer stationären, therapeutischen Massnahme nach Artikel 59 des Strafgesetzbuches, auch «kleine Verwahrung» genannt.

Brian und sein Anwalt wollten das Urteil nicht akzeptieren, weshalb der Fall nun auch vor das Obergericht kommt. Im Prozess hatte der Anwalt lediglich eine «angemessene» Freiheitsstrafe gefordert, die der junge Kampfsportler ohnehin längst abgesessen hätte.

Eine Therapie sei bei seinem Mandanten aber nicht zielführend, so der Anwalt. In den vergangenen Jahren hatte sich Brian immer geweigert, eine Therapie zu absolvieren. Gutachter sind jedoch der Ansicht, dass es eine «kleine Wahrscheinlichkeit» gibt, dass eine Therapie trotzdem anschlagen könnte.

Weiteres Verfahren vor sich

Neben dem Berufungsprozess wird sich Brian auch noch einem neuen Strafverfahren stellen müssen: Noch während der aktuelle Gerichtsfall in Arbeit war, randalierte er hinter Gitter nämlich weiter. Der Staatsanwalt eröffnete bereits ein neues Verfahren.

Wegen seiner Odyssee durch Psychiatrien und Gefängnisse tritt Brian inzwischen aber auch als Kläger auf: Er brachte die drei Psychiater vor Gericht, die ihn als Teenager 13 Tage lang auf ein Bett gebunden hatten und verklagte den Kanton Zürich wegen unmenschlicher Haftbedingungen im Gefängnis Pfäffikon.

Beide Fälle verliefen bisher nicht in seinem Sinne. Die drei Psychiater wurden freigesprochen und der Kanton wurde zwar gerügt, allerdings nicht zur Zahlung von 40'000 Franken verpflichtet. Der 25-Jährige, der seit seiner Kindheit negativ auffiel, sitzt aktuell in der Strafanstalt Pöschwies in Sicherheitshaft.

fn, sda