Nicht unterschätzen 45 Tote pro Jahr – die Schattenseite des Wander-Booms

Gil Bieler

18.10.2019

Hunderte Rettungseinsätze und Dutzende Todesfälle pro Jahr: Viele Schweizer unterschätzen die Gefahren beim Wandern. Dabei lässt sich das Risiko minimieren. 

Man braucht verhältnismässig wenig Ausrüstung, kein dickes Portemonnaie, kommt raus in die Natur und kann erst noch tolle Fotos für den Facebook- oder Instagram-Account schiessen. Es gibt viele gute Gründe, weshalb das Wandern in der Schweiz seit einigen Jahren boomt. Wenn die Wetterbedingungen stimmen, herrscht auf hiesigen Wanderwegen Hochbetrieb – genauso wie im Luftraum darüber.

Die Rega-Helikopter retten jedes Jahr 600 bis 1’100 Wanderer, die in Notsituationen geraten sind. Die meisten davon aufgrund eines Unfalls, wie Rega-Sprecher Mathias Gehrig auf Anfrage erklärt. Und zwar nicht nur im Gebirge: Gut ein Drittel der im letzten Jahr geretteten Wanderer war im Mittelland unterwegs.



Zahlen zum laufenden Jahr gibt es zwar noch nicht. Doch der Schweizer Alpen-Club (SAC) veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht zu Bergnotfällen, in dem die Daten verschiedener Rettungsorganisationen zusammengefasst werden. Im vergangenen Jahr wurden 1'445 Notfälle von Bergwanderern gezählt, über 200 mehr als in den beiden Vorjahren. Jedoch herrschte 2018 auch besonders gutes Wanderwetter im Sommer und im Herbst.

Vorsicht vor Schnee und Bodenfrost

Was können Wanderer tun, damit sie unfallfrei nach Hause kommen? Eine gute Vorbereitung ist das A und O, wie Bruno Hasler, Bereichsleiter Ausbildung und Sicherheit beim SAC, sagt. Dazu gehört, sich über die Bedingungen auf der geplanten Wanderroute zu informieren: Gab es kürzlich Niederschläge? Und gibt es Stellen, wo bereits Schnee liegen könnte? «Gerade in dieser Jahreszeit ist das eines der Hauptprobleme», sagt Hasler. In den Morgenstunden sei der Boden teils noch gefroren, was Wanderer schnell einmal aus dem Tritt bringen könne.

Das kann fatale Folgen haben: So haben sich im langjährigen Schnitt pro Jahr 45 tödliche Unfälle beim Bergwandern ereignet. Das zeigen SAC-Zahlen für die Jahre 1984 bis 2018. Im vergangenen Jahr starben 57 Personen auf Bergwanderungen.

Bergwanderwege sind an der weiss-rot-weissen Markierung erkennbar. 
Bergwanderwege sind an der weiss-rot-weissen Markierung erkennbar. 
Bild: Keystone

Zur Klärung: Bergwanderwege sind weiss-rot-weiss markiert und anspruchsvoller als die «gewöhnlichen» Wanderwege, die nur mit gelben Tafeln signalisiert sind. Routen mit blau-weisser Signalisation schliesslich sind Alpinwanderwege und damit am anstrengendsten. 



Für die Planung empfiehlt Hasler neben den lokalen Wetterprognosen auch einen Blick auf die Webcams der Wandergebiete. Doch dieser kann trügen: «Ein Hang auf der Sonnenseite kann völlig schneefrei sein, doch auf der Schattenseite hinter der Passhöhe können ganz andere Bedingungen herrschen.» Man sollte daher immer auch beachten, welche Passagen der Wanderung sonnenexponiert sind (tendenziell eher südliche Lage) und welche schattig (tendenziell eher nördliche Lage). Der SAC hat auf seiner Website Ratschläge für die Vorbereitung zusammengestellt.

PEAK-Methode empfohlen

Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) hat eine Kampagne lanciert, die vor den Gefahren bei Bergwanderungen warnt. Dabei wird Wanderern die PEAK-Methode empfohlen: 

- P wie Planung: Route, Zeitbedarf und -reserven sowie Ausweichmöglichkeiten planen. Anforderungen, Wegverhältnisse und Wetter sollten berücksichtigt werden. Der Abstieg verdient besonderes Augenmerk, denn hier nimmt das Ausrutsch- und Absturzrisiko laut BfU zu: «Der Bewegungsablauf ist körperlich anspruchsvoll und die Müdigkeit oft erhöht.» 

- E wie Einschätzen: «Bergwanderwege sind teilweise steil, schmal und exponiert und erfordern Trittsicherheit», heisst es in der Kampagne. Die eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen und schwierige Touren nicht allein unternehmen.

- A wie Ausrüstung: Feste Wanderschuhe mit Profilsohle sind ein Muss, ebenso sollte man Sonnen- und Regenschutz sowie warme Kleidung mitnehmen – im Gebirge kann das Wetter rasch umschlagen. Taschenapotheke und Handy für Notfälle nicht vergessen. 

- K wie Kontrolle: Müdigkeit kann die Trittsicherheit stark beeinträchtigen. Regelmässig trinken, essen und rasten, um leistungsfähig und konzentriert zu bleiben. Wenn nötig, müsse man auch bereit sein, umzukehren.

Die Empfehlungen der BfU gibt's auch im Video.

Video: Youtube

«Man muss Ziele haben, man muss aber auch verzichten können – gerade im Alter», sagt alt Bundesrat Adolf Ogi, der als Kampagnenbotschafter amtet. Die Statistik gibt ihm recht: Bei den 50- bis 60-Jährigen gab es im vergangenen Jahr am meisten tödliche Wanderunfälle zu beklagen: 33 Personen in dieser Altersgruppe kamen ums Leben. 

Historische Pfade: Die schönsten Wanderwege

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