Der angeklagte Grenzwächter räumte am Donnerstag vor dem Militärgericht ein, die medizinische Notlage einer schwangeren Flüchtlingsfrau falsch eingeschätzt zu haben.
Der im Zusammenhang mit der Totgeburt einer Syrerin angeklagte Grenzwächter (links) äusserte sich am Donnerstag in Bern vor dem Militärgericht.
Anklage fordert Freiheitsstrafe - Verteidigung pocht auf Freispruch
Der angeklagte Grenzwächter räumte am Donnerstag vor dem Militärgericht ein, die medizinische Notlage einer schwangeren Flüchtlingsfrau falsch eingeschätzt zu haben.
Der im Zusammenhang mit der Totgeburt einer Syrerin angeklagte Grenzwächter (links) äusserte sich am Donnerstag in Bern vor dem Militärgericht.
Im Prozess gegen einen Grenzwächter hat die Anklage am Donnerstag eine mehrjährige Freiheitsstrafe gefordert. Der Grenzwächter und seine Kollegen hätten es an "jeder Menschlichkeit" im Umgang mit einer schwangeren Flüchtlingsfrau fehlen lassen.
Die Verteidigung hingegen forderte vor dem Militärgericht 4 in Bern einen Freispruch für den Grenzwächter. Der Mann habe als Einsatzleiter angemessen gehandelt, als er die Notlage der Syrerin erkannt habe.
Die etwa im 7. Monat schwangere Frau sollte mit ihrem Mann und über 30 weiteren Flüchtlingen Anfang Juli 2014 durch die Schweiz nach Italien zurück geschafft werden. In Brig musste die Gruppe auf einen Zug warten, der sie nach Italien bringen würde.
Die Schwangere hatte bereits bei der Anreise kurz vor Brig Schmerzen gespürt. Später kamen Blutungen dazu. Ihr Mann und eine andere Angehörige baten die Grenzwächter in Brig mehrfach, einen Arzt zu holen. "Doch sie taten nichts", sagten die Syrerin und ihr Mann vor dem Militärgericht aus.
Von den Warteräumen in Brig musste die Frau von ihrem Mann zum Zug getragen werden. In Domodossola brach die Schwangere zusammen und wurde umgehend ins Spital gebracht. Dort kam ihr Kind, ein Mädchen, tot zur Welt.
Es fehlte jede Menschlichkeit
Nicht nur der Angeklagte, auch seine Kollegen von der Grenzwache hätten "jegliche Menschlichkeit" vermissen lassen, zeigte sich der Auditor, wie der Ankläger vor Militärgericht genannt wird, zutiefst erschüttert.
Eine schwangere Frau mit Schmerzen und Blutungen gehöre ins Spital, das sei jedem Laien mit gesundem Menschenverstand klar. Doch der Angeklagte habe es vorgezogen, auf dem Perron mit seinen Kollegen zu rauchen und zu plaudern, während der Mann Schwangeren vergeblich um Hilfe rang.
Der Flüchtlingstransport sei dem Angeklagten einfach nicht gelegen gekommen, an einem schönen Freitagabend im Sommer, kurz vor Feierabend: "Man wollte lieber nach Hause".
Die Anklage erhob eine ganze Reihe von Vorwürfen, der schwerwiegendste lautet auf Tötung. Sollte das Gericht von diesem Tatbestand ausgehen, forderte die Anklage eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren.
Sollte das Gericht aber von einem weniger gravierenden Tatbestand ausgehen - die Anklage umriss zwei solche Varianten - dann solle der Angeklagte zu einer dreijährigen, teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt werden. Die Anwältin der Opferfamilie verlangte zudem Genugtuung für die Mitglieder der betroffenen Flüchtlingsfamilie von insgesamt 820'000 Franken.
Sehr wohl gehandelt
Die Verteidigung wies sämtliche Vorwürfe zurück. Der Angeklagte habe sehr wohl gehandelt, sobald er erkannt habe, dass es der Syrerin schlecht gehe.
Dies habe sein Mandant erst bemerkt, als die Frau von Angehörigen zum Zug getragen werden musste. Vorher habe es keine Anzeichen für ein gravierendes medizinisches Problem gegeben.
Der angeklagte Einsatzleiter des Grenzwachtteams habe sich dann rasch entscheiden müssen, ob er die Flüchtlingsgruppe mit dem Zug in den keine halbe Stunde entfernten italienischen Grenzort Domodossola schicke und bei den italienischen Behörden medizinische Hilfe anfordere oder ob er von Visp her einen Krankenwagen bestelle.
Die Anfahrt der Ambulanz von Visp her hätte im freitäglichen Feierabendverkehr einige Zeit gedauert, konstatierte der Verteidiger. Die Frau habe also mit der kurzen Fahrt nach Domodossola kaum länger auf Hilfe warten müssen.
Nicht optimal
Es sei bestimmt nicht alles optimal gelaufen auf der Grenzwache in Brig, räumte der Verteidiger ein. Doch strafrechtliche Tatbestände lägen keine vor.
Der angeklagte Grenzwächter betonte vor Gericht, er habe die Situation der Schwangeren zunächst nicht als Notfall erkannt. Der Grenzwächter sprach auch von einem gewissen Zeitdruck, unter dem man bei solchen Rückschaffungen stehe. Wenn die Gruppe über Nacht hätte in Brig bleiben müssen, hätte man Unterkunft und Bewachung organisieren müssen.
Er habe nicht wissen können, dass die Frau auf der anderen Seite der Grenze in Domodossola eine Totgeburt erleiden werde. "Ich habe die Lage falsch eingeschätzt", räumte der Angeklagte ein. Das was in Domodossola passiert sei, habe er ganz sicher nicht gewollt.
Das Urteil wird das Militärgericht am 7. Dezember in Bern bekannt geben.
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