Buch über Waffen in der Familie Autorin Michèle Minelli: «Schlimm, wie viele Kinder Gewalt erleben»

Silvana Guanziroli

14.11.2018

Michèle Minelli schreibt über die Gefahr von legalen Armee-Waffen in Haushalten mit instabilen Familienstrukturen.
Michèle Minelli schreibt über die Gefahr von legalen Armee-Waffen in Haushalten mit instabilen Familienstrukturen.
Anne Bürgisser

Der Vater liegt blutüberströmt auf dem Küchenboden. Wer hat die tödlichen Schüsse abgegeben? In ihrem neuen Buch schreibt Autorin Michèle Minelli über die Gefahr, die von Armee-Waffen in der Familie ausgeht. Das Buch hat jetzt einen Preis gewonnen.

Diese Geschichte lässt aufhorchen und geht unter die Haut. Die Zürcher Schriftstellerin Michèle Minelli schreibt in ihrem neuen Roman «Passiert es heute? Passiert es jetzt?» über ein Tötungsdelikt in einer Schweizer Familie. Minelli geht der Frage nach: Was geschieht, wenn die Situation in den eigenen vier Wänden eskaliert – und etwa plötzlich eine Pistole zur Hand ist?

Eines vorweg, das Ende ist blutig – aber überhaupt nicht aus der Luft gegriffen. «Tatsächlich entstand die Idee, weil ich in meinem Umfeld eine ähnliche Familienkonstellation erlebt habe. Diese Erfahrung hat mich geprägt», so schildert es die Autorin «Bluewin». «Zudem finde ich die Vorstellung von ungezählt vielen und nicht registrierten Armeewaffen in Privathaushalten, eben auch in nicht stabilen Familien, stossend.» 

Die Tochter von Ludwig A. Minelli, dem Gründer der Sterbehilforganisation Dignitas, setzt sich in ihren Büchern immer wieder mit gesellschaftspolitischen Problemen auseinander. «Es ist einfach nur schlimm, wie viele Kinder in der Schweiz Gewalt erleben müssen», sagt sie. 

Kinder öffnen sich nach der Lesung

Mit ihrem Buch ist die Autorin derzeit auf Lesereise in Schweizer Schulklassen. «Die Reaktionen der Kinder sind beeindruckend und sehr emotional», sagt sie. «Gerade heute erzählte mir ein 14-jähriger Bub von seiner Lebensgeschichte. Auch in seiner Familie eskalierte der Streit.» Die Familie werde jetzt durch die Behörden begleitet.

Nach zwölf Büchern ist Minellis jüngster Wurf ein Jugendroman, es ist ihr erster. Doch lesen Kinder heutzutage überhaupt noch Bücher? «Es sind überraschend viele», so Minelli, «da leisten die Fantasy-Romane Grossartiges. Bücher mit über Tausend Seiten werden verschlungen, was auch den Weg zu anderen Werken öffnet», glaubt sie. «Und was mich besonders freut. Es gibt Autorennachwuchs. Ich treffe viele Schülerinnen und Schüler, die gern schreiben.»

Mit ihrer Sprache und dem Thema trifft Minelli bei den Jugendlichen den Zeitgeist. Aber auch darüber hinaus. «Passiert es heute? Passiert es jetzt?» gewann soeben den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis. Zudem verlieh ihr die deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur den Preis für das beste Buch im Monat Oktober.

«Das bedeutet mir sehr viel. In diesem Fall wählte ich eine schöne, gepflegte, auch poetische Sprache», erklärt sie. «Wolfgangs Schicksal ist düster genug, dem wollte ich sprachlich etwas entgegensetzen. Dass nun genau das gesehen und anerkannt wurde, ist ein unbeschreibliches Gefühl.»


Michèle Minelli, «Passiert es heute? Passiert es jetzt?»

Wolfgang wird von der Polizei in die geschlossene Jugendpsychiatrie gebracht. In seinen Gesprächen mit dem Psychologen entsteht langsam das Bild einer Familie, die vom tyrannischen Vater völlig beherrscht wird. Wolfgang hat immer versucht, seine Mutter und seine kleine Schwester Leonie zu schützen. Aber die Mittel, mit denen der Vater seine Familie unterdrückt, werden zunehmend drastischer, bis er sie sogar mit seiner Armeewaffe bedroht. Eines Tages hält Leonie die Waffe in der Hand – und dann passiert etwas Schreckliches.

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