«Weniger Gelegenheiten» Corona-Pandemie: Kriminalitätsraten sinken weltweit 

AP

12.4.2020

Zwei Polizisten helfen beim Schieben. Die Kriinalitätsrate sinkt aufgrund der Corona-Pandemie weltweit.
Zwei Polizisten helfen beim Schieben. Die Kriinalitätsrate sinkt aufgrund der Corona-Pandemie weltweit.
Lm Otero/AP/dpa (Symbolbild)

Weniger Morde, weniger Einbrüche, weniger Drogendelikte: Ausgangsbeschränkungen sorgen in vielen Teilen der Welt für sinkende Kriminalitätsraten. Das betrifft jedoch nicht alle Vergehen.

Im Zuge der Coronavirus-Pandemie und weit verbreiteter Ausgangsbeschränkungen ist die Kriminalitätsrate in vielen Teilen der Welt gesunken. In Chicago, einer der US-Städte mit der höchsten Gewaltrate, gingen die Festnahmen wegen Drogendelikten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 42 Prozent zurück. Die Kriminalitätsrate insgesamt sank in Chicago um zehn Prozent.

Ein derart hoher Rückgang der Kriminalität ist ungewöhnlich, selbst über einen längeren Zeitraum. In den 1990er Jahren ging die Kriminalitätsrate in New York um 40 Prozent zurück — innerhalb von drei Jahren. Der jetzige Rückgang in Chicago wurde dagegen innerhalb weniger Wochen verzeichnet. Auch in Regionen, die als Orte mit der höchsten Gewaltrate ausserhalb von Kriegsgebieten gelten, gibt es weniger Überfälle und Tötungen.



In Lateinamerika ist der Trend ebenfalls spürbar. «Tötungen gehen runter, und die Gangster schikanieren nicht so sehr», sagte Eduardo Perdomo, ein 47-jähriger Bauarbeiter, während er aus einem Bus in San Salvador ausstieg. «Ich glaube sie haben Angst, sich mit dem Virus anzustecken und gehen nicht raus.» Im zentralamerikanischen El Salvador wurden im vergangenen Monat durchschnittlich zwei Menschen pro Tag getötet — vor einigen Jahren waren es noch 600 am Tag.

Schärfere Sicherheitsvorkehrungen und Waffenstillstände

Ein Grossteil des Rückgangs geht auf schärfere Sicherheitsvorkehrungen und einen Waffenstillstand zwischen kriminellen Banden zurück. Doch die vielerorts herrschenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens tragen Analysten und nationalen Statistiken zufolge ihren Teil dazu bei.

Auch in Peru ging die Zahl der Gewaltopfer und Toten zurück. Der Bestattungsunternehmer Raúl González hat normalerweise 15 Fälle pro Tag, von denen viele Gewaltopfer sind. In dieser Woche hatte er teils sechs Stunden lang keine Kunden. «Es gibt derzeit fast keine Tötungen oder Autounfälle.» Die Kriminalitätsrate sank in Peru, wo eine strenge Ausgangssperre herrscht, im vergangenen Monat sogar um 84 Prozent.



In Südafrika berichtete die Polizei während der ersten Woche der Ausgangsbeschränkungen ebenfalls von verblüffenden Rückgängen. Polizeiminister Bheki Cele sagte, angezeigte Vergewaltigungen seien von 700 im Vorjahreszeitraum auf 101 zurückgegangen. Überfälle sanken demnach von 2673 auf 456, Morde von 326 auf 94.

«Weniger Gelegenheiten»

In New York, einer der am schwersten vom Virus betroffenen Städte, sank die Zahl der schweren Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung, Einbruch, Überfall und schwerem Diebstahl von Februar auf März um zwölf Prozent. In Los Angeles stimmten die Kriminalitätsstatistiken seit Beginn des Jahres weitgehend mit denen des Vorjahres überein, seit Mitte März sank die Rate jedoch um 30 Prozent.

«Es gibt deutlich weniger Gelegenheiten für Kriminelle», sagte Joe Giacalone, ein früherer New Yorker Polizist, der mittlerweile am John Jay College Strafrecht lehrt. «Die meisten Einbrecher warten darauf, dass man das Haus verlässt.»

Sorge wegen häuslicher Gewalt

Strafverfolger sorgen sich jedoch wegen der mutmasslichen Zunahme häuslicher Gewalt. Der Polizeichef von Houston Art Acevedo sagte, die Fälle schwerer Körperverletzung seien in den vergangenen drei Wochen um zehn Prozent gestiegen. Bei der Hälfte handele es sich um häusliche Gewalt, was einen deutlich höheren Anteil als sonst darstelle. Die Anrufe wegen Kindesmissbrauchs bei einem Notruftelefon in Missouri gingen um die Hälfte zurück — Fürsprechern zufolge werden die Anrufe jedoch nicht getätigt, weil die Kinder nicht in der Schule sind.

Dealer verkaufen aufgrund der Coronakrise online.
Dealer verkaufen aufgrund der Coronakrise online.
Silas Stein/dpa (Symbolbild)

Dealer verkaufen online

In die Statistiken einfliessen könnten auch Veränderungen in der Strafverfolgung. Während Polizeistationen mutmasslich nicht mitteilen würden, gewisse Verbrechen weniger zu überwachen, «wird das der Fall sein», sagte der Kriminologe Philip Stinson von der Bowling Green State Universität.

Und während die Festnahmen wegen Drogendelikten weniger werden, gehen Drogenverkäufe weiter. Dealer müssten dafür wahrscheinlich ihre Strategien ändern, sagte Rodney Phillips, ein früheres Gangmitglied in Chicago. Er arbeitet mittlerweile als Konfliktmediator in der Stadt. Die Dealer «verkaufen jetzt mehr online. Aber sie werden wegen des Coronavirus nicht einfach aufgeben».


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