Grabesstille in Mexiko Corona überschattet den Tag der Toten

AP/toko

31.10.2020

Menschen besuchen die Gräber ihrer Verwandten auf dem städtischen Friedhof Valle de Chalco in Mexiko-Stadt.
Menschen besuchen die Gräber ihrer Verwandten auf dem städtischen Friedhof Valle de Chalco in Mexiko-Stadt.
AP/Fernando Llano/Keystone

Manche Veranstaltungen lassen sich nicht so leicht ins Virtuelle verlegen: Dazu gehört der traditionelle Dia de Muertos in Mexiko. Aber viele Menschen sind erfinderisch und verlegen ihr Totengedenken in die eigenen vier Wände.

Der Tag der Toten in Mexiko ist eigentlich ein farbenprächtiges Volksfest. Doch nach mehr als 90'000 Covid-19-Opfern wird der Feiertag düster ausfallen. Denn die meisten Hinterbliebenen können die Gräber ihrer Angehörigen nicht besuchen: Wegen der Corona-Pandemie schliessen die Behörden im Grossteil Mexikos am Feiertag die Friedhöfe. Damit wollen sie das traditionelle Gedenken am 1. und 2. November verhindern, bei dem ganze Familien Gräber reinigen, schmücken und mit orangefarbenen Ringelblumen bedecken, Kerzen anzünden und mit ihren Verstorbenen sprechen.

In Valle de Chalco, einem armen Vorort östlich von Mexiko-Stadt, besuchen viele Bewohner wegen der Schliessungen schon Tage im Voraus den neu erweiterten Bereich des örtlichen Friedhofs. Sie säubern die Grabstätten ihrer Angehörigen, die vielfach nur aus einem Erdhügel bestehen. «Viele Leute sind gekommen, um die Gräber vor dem Tag der Toten in Ordnung zu bringen», sagt Friedhofsverwalter José Juan Rivera Almazán. Der neue Bereich fülle sich schnell, erklärt er. Ständig stehen neue Beerdigung von Covid-Opfern an. Sie sind leicht zu erkennen, da ihre Särge in Plastik gehüllt sind.



An einem normalen Dia de Muertos könne «man hier gar nicht durchgehen, es ist voll, Menschen, Besucher, Verkaufsstände», sagt Rivera Almazán. Der auf prähispanische Rituale zurückgehende Feiertag ist einer der wichtigsten des Jahres. Aber 2020 wird es auf den Friedhöfen still bleiben.

Eine der vorzeitigen Besucherinnen ist Jacinta Jiménez Viviano. Ihr Ehemann Vicente Domínguez Alejo starb in diesem Jahr an Covid-19. Da sie sein Grab am 2. November nicht besuchen kann, pflanzt Jiménez Viviano dort schon Ende Oktober Blumen ein. Die Pflege der Grabstätte gebe ihr Kraft, sagt sie: «Ich verbinde das mit der Hoffnung, dass wir es schaffen werden, denn diese Tage der Toten sind sehr wichtig für Mexikaner.»

Zurück zu den Wurzeln

In Mexiko herrscht traditionell eine andere Haltung zum Tod als in vielen Teilen der Welt, er wird stärker als Teil des Lebens akzeptiert. Totenwachen und Beerdigungen sind oft aufwendige, mehrtägige Ereignisse, zu denen sich Grossfamilie und Nachbarschaft versammeln. Es wird gemeinsam gegessen, gebetet, erinnert. Aber auch in Mexiko ist der Tod in der Pandemie zu einer einsamen Angelegenheit geworden: Totenwachen wurden verboten. Viele Menschen starben allein. Oft durften Angehörige nicht einmal den Leichnam sehen.

Auf eine gewisse Art kehrt der Dia de Muertos 2020 allerdings zu seinen Wurzeln zurück, da viele kulturelle Überlagerungen und moderne Innovationen wegfallen, die seit einigen Jahren die Feiern beeinflussen. So wurde etwa die Hollywood-artige Parade zum Tag der Toten in Mexiko-Stadt abgesagt, auch Halloween-Partys bleiben aus. Stattdessen errichten die Menschen wie in früheren Zeiten am Feiertag einfache Altäre, um die Toten einzuladen, für eine Nacht nach Hause zurückzukehren. Kerzen sollen den Geistern den Weg zurückweisen, damit sie nicht ziellos umherirren, das Lieblingsessen und -getränk sollen sie nach Hause locken.

Uralte Tradition

Da der Brauch daheim stattfindet, gehört er zu den wenigen sicheren Aktivitäten, obwohl es auch einige Anläufe für Online-Feierlichkeiten gibt. So erklärte der Kultursekretär von Mexiko-Stadt, José Alfonso Suárez del Real: «Der Tag der Toten muss in diesem Jahr virtuell gefeiert werden.» Er rief die Einwohner der Hauptstadt auf, auf einer städtischen Webseite Fotos und Videos von ihren heimischen Totenaltären zu posten. Eines der grössten Bestattungsinstitute des Landes, Gayosso, startete ein Online-System, um Blumen direkt an Gräber und Mausoleen zu schicken. Zudem bietet das Unternehmen Online-Gedenkmessen für Verstorbene an. Aber es ist nicht dasselbe.

«Auf die eine oder andere Art nehmen sie uns unsere uralte Tradition weg, eine Tradition, die vorher noch nie abgesagt worden ist», sagt die Ethnohistorikerin Ericka Alejandra Alvarez von der Nationalen Autonomen Universität. «Das wird in der Gesellschaft einen Schock auslösen, die Menschen werden aufgebracht sein, unzufrieden, nicht glücklich.»

«Es geht nicht nur darum, zu einem Grab zu gehen, um eine Opfergabe zu hinterlassen oder Blumen abzulegen», erklärt Alvarez. «Alles, was wir Mexikaner im Zusammenhang mit dem Tod tun, ist kathartisch, denn wenn du weinst, bricht deine Seele.» Die Symbole bei einer Beerdigung seien wichtig, da sie ein Gefühl und ein Verständnis für den Tod vermittelten. Das fehle nun wegen der Friedhofsschliessungen.

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