Tunesiens stinkendes Problem Demokratie in Scherben und Plastik: Tunesiens neue Umweltpolizei

Von Simon Kremer, dpa

18.2.2018

Tunesien, ein beliebtes Urlaubsziel, versinkt im Müll. Seit der Revolution bekommen die Gemeinden das Problem nicht in den Griff. Eine neue Polizeieinheit soll helfen.

Mit dem hellblauen Mundschutz eines Chirurgen sitzt Lotfi Gharbi an seinem weissen Piano inmitten von Bergen aus Müll. Am Strassenrand türmen sich aufgerissene Plastiktüten, aus denen der Hausmüll quillt. Die Bilder der Protestaktion verbreiteten sich vor zwei Jahren in den sozialen Netzwerken - passiert ist seitdem wenig. Wie auch schon 2014, als junge Tunesier im ganzen Land Bilder von sich vor illegalen Müllkippen schossen und die Fotos im Internet verbreiteten. Abseits der Hotelanlagen von Hammamet und Djerba flattern immer noch Plastiktüten über den Strand und verfangen sich in den Sträuchern und Bäumen. Seit der Revolution 2011 wird Tunesiens Müllproblem grösser.

Im weissen Pick-up-Truck fährt Radhwan Derwisch an der Uferpromenade von La Marsa, einem kleinen Vorort der tunesischen Hauptstadt Tunis, vorbei. Nach einem Blick in eine Seitenstrasse hält er an und steigt aus: Bauarbeiter haben Schutt und Sand an einem Neubau einfach auf die Strasse gekippt. Bis zu 300 Dinar (etwa 115 Franken) Strafe könnte Derwisch verhängen, aber der Vorarbeiter sei nicht da, sagen die Arbeiter. Und Ausweise habe auch niemand dabei. Derwisch belässt es bei einer Ermahnung. «Die Leute verstehen, was wir hier machen, aber sie ändern ihr Verhalten nicht», sagt er. «Sie haben es jahrzehntelang nicht anders gelernt.»

Seit gut einem halben Jahr sind Derwisch und seine Kollegen im Norden von Tunis auf Streife. Die «Grüne Polizei», wie sie hier genannt wird, soll Umweltsünder bestrafen - vor allem aber die Menschen für den Umweltschutz sensibilisieren. Denn seit der Revolution von 2011 und dem Sturz von Langzeitmachthaber Zine el-Abidine Ben Ali verschärft sich das Müllproblem, und die Gemeinden kümmern sich kaum. Selbst die staatlichen Behörden hätten ihren Müll manchmal einfach mitten in die Natur gekippt, hatte Umweltminister Riadh Mouakher gesagt, als er im vergangenen Jahr das Projekt offiziell startete.

Niemand übernahm Verantwortung

Zunächst in einigen Bezirken rund um die Hauptstadt Tunis soll die Umweltpolizei nach und nach ihren Dienst in 74 Gemeinden im ganzen Land aufnehmen. «Das Problem ist, dass sich nach der Revolution niemand verantwortlich gefühlt und gekümmert hat», sagt Umweltpolizist Derwisch.

Zwar empfinden laut einer Umfrage der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung 72 Prozent der befragten Tunesier den Zustand der Umwelt als «schlecht», aber nur 0,6 Prozent sehen die Umwelt als aktuelles Problem. Die Menschen kämpfen eher mit Armut, steigenden Preisen oder korrupten Beamten.

«Keiner will im Dreck leben», sagt Simon Ilse von der Böll-Stiftung in Tunis. «Den Tunesiern ist auch bewusst, dass sich der Müll negativ auf ihr Bild bei den Touristen auswirkt.» Immer wieder gebe es Debatten über Sauberkeit und Abfallentsorgung. Mehr und mehr sähen die Tunesier sich auch selbst in der Verantwortung. «Die Bereitschaft, die Umweltprobleme des anzugehen, ist hoch.»

Müllprobleme sind vielseitig

Denn die Umweltprobleme sind nicht nur kosmetischer Natur und nicht nur für den Tourismus ein Problem. Neben illegalen Müllkippen und Hausmüll am Strassenrand geht es auch um verunreinigtes Grundwasser und Chemieabfälle, die einfach in die Landschaft oder ins Meer gekippt werden. «Wir müssen die Menschen für die Umwelt sensibilisieren», sagt Derwisch. Er steht jetzt vor einer illegalen Müllkippe, auf der sich der Abfall bis in die Baumkronen verteilt. Er wirkt hilflos: «Die ist hier schon seit sieben Jahren, aber wir habe nicht die Mittel, das wegzuräumen.»

Tunesien ist nach Ansicht von Ilse da, wo Deutschland in den 1980er Jahren stand. Würden in Deutschland inzwischen rund 80 Prozent des Mülls recycelt, seien es in Tunesien gerade einmal 8 Prozent. Der Rest werde verklappt oder auf offenen Flächen verbrannt.

Dabei ist sich die Regierung des Problems durchaus bewusst. Im vergangenen Jahr handelte sie mit den grossen Supermarktketten ein Verbot von Plastiktüten aus.

Aber auch Polizist Radhwan Derwisch weiss, wie schwierig der Kampf ist. Bei seiner Patrouille durch die schicken Vororte von Tunis kommt er nur an wenigen Mülltonnen vorbei. Die meisten Bewohner legen ihren Müll einfach vor die Haustür. In den ärmeren Vierteln sieht es noch schlimmer aus. Dann denkt Derwisch an die Worte des Regierungschefs zurück, die er den Umweltpolizisten bei der offiziellen Vorstellung mit auf den Weg gegeben hatte. Es sei eine schwierige Mission. «Möge Gott Euch helfen.»

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