Monsterjagd beginnt vor 90 Jahren Mit diesem «Nessie»-Bild fing alles an

Von Benedikt von Imhoff, dpa

12.11.2023 - 00:00

Eine Mitarbeiterin zeigt im interaktiven Museum «Loch Ness Centre» auf das mutmasslich erste Bild vom Loch Ness-Monster Nessie, das Hugh Gray im November 1933 aufgenommen hat.
Eine Mitarbeiterin zeigt im interaktiven Museum «Loch Ness Centre» auf das mutmasslich erste Bild vom Loch Ness-Monster Nessie, das Hugh Gray im November 1933 aufgenommen hat.
Loch Ness Centre/dpa

Das Bild ist reine Ansichtssache. Vor 90 Jahren drückte Hugh Gray ab, als «Nessie» aus dem schottischen See auftauchte. Aber zeigt die grobkörnige Aufnahme tatsächlich das legendäre Ungeheuer von Loch Ness? Ein Experte hat eine klare Meinung.

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Vor 90 Jahren nahm der Brite Hugh Gray am Ufer von Loch Ness das vermeintlich erste Bild von «Nessie »auf.
  • Laut dem Experten Roland Watson ist es keine Fälschung und zeigt ein animalisches Wesen, auf der rechten Seite sei ein Kopf zu erkennen.
  • Nur ein halbes Jahr vorher war die Geschichte von «Nessie» erstmals um die Welt gegangen.

Kein langer Hals, der aus dem Wasser ragt. Vielmehr ein länglicher Körper, der Wasser aufwirbelt. Schwarz-weiss und grobkörnig ist das Bild – und es hat die wohl bekannteste Monsterjagd der Welt ausgelöst. Denn bei dem Schnappschuss soll es sich um das erste Foto von «Nessie» handeln. An diesem Sonntag ist es 90 Jahre her, dass ein Mann namens Hugh Gray am Ufer des Loch Ness auf den Auslöser drückte.

«Es ist auch 90 Jahre später eines der klarsten Fotos, das wir haben», sagt der «Nessie»-Experte Roland Watson im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen aus den schottischen Highlands, hat mehrere Bücher darüber geschrieben. Watson hat Grays Foto in mehreren Artikeln und Blogeinträgen akribisch studiert. Es sei keine Fälschung und zeige ein animalisches Wesen, auf der rechten Seite sei ein Kopf zu erkennen. Für Watson ist daher seit Jahren klar: «Ich glaube, dass das Foto das Monster vom Loch Ness zeigt.» Und schiebt hinterher: «Ich sage, «ich glaube», nicht «es ist».» Aber Gray sei weder ein Lügner noch ein Betrüger gewesen, vielmehr hätten ihn Zeitgenossen als angesehenen und ehrlichen Menschen beschrieben.

Lokalzeitung druckt Schilderung ab

Nur ein halbes Jahr vorher war die Geschichte von «Nessie» erstmals um die Welt gegangen. Da druckte die Lokalzeitung «Inverness Courier» die Schilderungen der Hotelmanagerin Aldie Mackay, die ein walähnliches «Ungeheuer» gesehen haben wollte – die erste «Nessie»-Sichtung der Neuzeit. Der längliche See in den schottischen Highlands war also bereits unter Beobachtung, als Gray an einem sonnigen Sonntag nach der Kirche am Ufer entlang schlenderte.

«Das Objekt erschien nur für ein paar Minuten»

Der Zeitung «Daily Record» sagte er wenige Wochen später: «Nicht weit von meinem Aufenthaltsort erhob sich ein Objekt von beträchtlicher Grösse aus dem Wasser. Ich machte sofort meine Kamera bereit und fotografierte das Objekt, das sich zwei bis drei Fuss über der Wasseroberfläche befand.» Er habe keinen Kopf erkennen können, aber es habe viel Bewegung von dem Teil gegeben, der wie der Schwanz aussah. «Das Objekt erschien nur für ein paar Minuten und verschwand dann ausser Sichtweite», berichtete Gray.

Dass «Nessie» ein freundlicher Plesiosaurier ist, als der das Monster auf Werbe- und Tourismusplakaten meist dargestellt wird, glaubt auch Experte Watson nicht. Das wohl berühmteste «Nessie»-Foto, auf dem ein dinosaurierähnlicher Hals aus dem Wasser ragt und das 1934 von der «Daily Mail» veröffentlicht wurde, hat sich längst als Fälschung herausgestellt. Aber der Loch Ness ist riesig. 36 Kilometer lang, bis zu 2,7 Kilometer breit und 230 Meter tief erstreckt sich der wasserreichste schottische See in den Highlands.

Watson oder auch Steve Feltham, der seit 32 Jahren am See wohnt und den Weltrekord für die längste «Nessie»-Suche hält, sind sicher, dass sich etwas Mysteriöses im Loch Ness befindet. Doch was ist auf Grays Bild zu sehen? Theorien über einen Labrador weist Watson zurück. Er hat das Foto unter anderem mit Bildern eines schwimmenden Hunds verglichen und nach eigener Darstellung mehrere Unstimmigkeiten entdeckt. Ist es ein riesiger Fisch, etwa ein Aal? Oder eine Robbe? Watson meint, «etwas schildkrötenartiges» zu erkennen.

In Schottland wurde im August die vermutlich grösste Suche nach dem Ungeheuer von Loch Nessseit Jahrzehnten durchgeführt.
In Schottland wurde im August die vermutlich grösste Suche nach dem Ungeheuer von Loch Nessseit Jahrzehnten durchgeführt.
Benedikt von Imhoff/dpa

Der erste Bericht stammt aus dem Jahr 565

Das «offizielle Register der Sichtungen des Monsters vom Loch Ness» zählt derzeit 1155 Berichte, der erste stammt vom Mönch Columban aus dem Jahr 565 nach Christus. Allein 2023 kamen bereits neun hinzu. Die bekanntesten Bilder sind im interaktiven Loch Ness Centre in Drumnadrochit zu sehen. Der Ort an der Westküste des Sees gilt als Zentrum des «Nessie»-Tourismus. «Im Loch Ness Centre hören wir gerne von diesen Begegnungen mit «Nessie», die zu dem Phänomen beitragen, das mehr als 1000 Augenzeugenberichte und Sichtungen sowie viele ungeklärte Hinweise aufweist», sagt Museumschef Paul Nixon.

90 Jahre nach Aldie Mackays Schilderungen und Hugh Grays Foto ist der Wirbel um «Nessie» immens. Der «Telegraph» veröffentlichte Ende August Bilder der Amateur-Fotografin Chie Kelly, einem bekennenden «Nessie»-Fan, die sie 2018 aufgenommen hatte. Mehrere kleine Hügel sind zu sehen, die aus dem Wasser ragen und leicht gekräuselte Wellen auf der Oberfläche hinterlassen. Weltrekordler Feltham sprach von den «aufregendsten Oberflächenbildern, die ich je gesehen habe».

Suche mit hochsensiblen Hydrophon

Letztlich aber ist Vorsicht geboten. Viele Interpretationen, sagt Experte Watson, könnten auf Pareidolie zurückzuführen sein – die Tendenz, dass Menschen in einem mehrdeutigen Bild eine Form oder eine Bedeutung zu erkennen glauben, die aber gar nicht existiert. Schliesslich reisen viele Touristen mit der Erwartung an, dass sie im Loch Ness ein Monster sehen könnten. Da kann jede unerwartete Bewegung im Wasser schnell zu «Nessie» werden.

Bis heute aber gibt es keinen Beweis für ein Urwesen oder Ungeheuer in dem See. Erst Ende August wurden bei einer grösseren Suche mit einem hochsensiblen Hydrophon, einer Art Unterwassermikrofon, keine Spuren eines grösseren Tieres gefunden. «Dafür dass sie ein berühmtes Wesen ist, das fast ein Jahrhundert lang von einer Armee von Ermittlern gesucht wurde, erweist sie sich als unerfreulich schwer zu fassen», kommentierte der «Telegraph».

Von Benedikt von Imhoff, dpa