Mythen und Fakten Der grosse Faktencheck – so krank macht uns das Smartphone

dpa/gusi

4.1.2019

Ein Smartphone steht auf vielen Weihnachts-Wunschlisten ganz oben. Mails checken, WhatsApp, Instagram und manchmal auch telefonieren: Für die meisten Menschen in der Schweiz ist es kaum mehr wegzudenken.
Ein Smartphone steht auf vielen Weihnachts-Wunschlisten ganz oben. Mails checken, WhatsApp, Instagram und manchmal auch telefonieren: Für die meisten Menschen in der Schweiz ist es kaum mehr wegzudenken.
dpa

Ein Smartphone stand auf vielen Weihnachts-Wunschlisten ganz oben. Mails checken, WhatsApp, Instagram und manchmal auch telefonieren: Für die meisten Menschen auch in der Schweiz ist es kaum mehr wegzudenken. Welche Auswirkungen hat das auf die Gesundheit? Thesen dazu im Check.

Seit gut zehn Jahren ist das Smartphone auf dem Vormarsch – mittlerweile nutzen es acht von zehn Menschen in der Schweiz. Längst hat die Technik das Land erobert, viele Menschen aber sind verunsichert: Was richten diese recht kleinen Geräte mit unserer Gesundheit an? Können sie süchtig machen oder sogar Krebs verursachen? Sieben Thesen und die Fakten:

1. BEHAUPTUNG: Smartphones können süchtig machen.

BEWERTUNG: Stimmt.

FAKTEN: 48 Prozent der Schweizer Handybesitzer finden, dass sie das Smartphone zu oft in die Hände nehmen. Dies zeigt eine Umfrage der Beratungsfirma Deloitte. In der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen sind es gar zwei Drittel. Und: Vier Prozent der Schweizer wachen in der Nacht auf, um ihr Mobiltelefon zu prüfen. Auffallend ist zudem, je grösser das Handy, desto länger beschäftigen sich die Besitzer damit.

Wo liegt die Grenze zur Sucht?

Gemäss mehreren US-Studien gilt als süchtig, wer mehr als 60 Mal pro Tag zum Handy greift. Menschen, die deutlich über diesem Wert liegen, werden als Nomophobiker bezeichnet. Die No-Mobile-Phone-Phobia ist die Angst davor, kein Mobiltelefon griffbereit zu haben. Ohne Handy werden Betroffene nervös, ängstlich oder depressiv.



2. BEHAUPTUNG: Smartphone-Nutzung kann unserem Rücken und unseren Händen schaden.

BEWERTUNG: Stimmt.

FAKTEN: «Smartphones vereinen Display und Tastatur. Durch diese Einheit ist es eigentlich nicht möglich, eine Haltung zu finden, die gleichzeitig für alle Körperbereiche optimal ist», sagt Patricia Tegtmeier von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Sie hat mit ihrem Team 41 Studien aus den Jahren 2007 bis 2016 ausgewertet und kommt zu dem Ergebnis: «Wenn das Smartphone sehr intensiv und andauernd genutzt wird, kann sich das Risiko für Muskel-Skelett-Erkrankungen erhöhen.»

Tatsächlich treten auch bei süchtigen Schweizern bereits körperliche Probleme auf. Sechs Prozent erlebten gemäss der Deloitte-Umfrage mindestens einmal Sehschwierigkeiten, weil sie das Mobiltelefon zu oft benutzten, fünf Prozent Kopfweh oder schmerzende Finger. 

Eine in der Fachzeitschrift «The Lancet» veröffentlichte Studie des Universitätsklinikums Granada berichtete schon vor vier Jahren von einer spanischen Patientin, die nach sechs Stunden Handy-Tippen mit Sehnenscheidenentzündungen an beiden Daumen behandelt werden musste. Die Ärzte sprachen damals von einer neuen Krankheit, der «WhatsAppitis».

3. BEHAUPTUNG: Das blaue Licht des Smartphones kann die Netzhaut der Augen schädigen und sogar zur Erblindung führen.

BEWERTUNG: Hierüber streiten die Forscher.

FAKTEN: Im Juli erhielt ein Beitrag in der Fachzeitschrift «Scientific Reports» viel Aufmerksamkeit. Ein Team der Universität Toledo in den USA wollte herausgefunden haben, dass der Blauanteil im Displaylicht von Smartphones und Computern Erblindung verursachen kann. Das kurzwellige Licht rege in den lichtsensiblen Zellen des Auges die Produktion giftiger Moleküle an, so die Forscher.

Diese Einschätzung ist sehr umstritten. Das wissenschaftliche Komitee der EU-Kommission für Gesundheitsfragen erklärte noch im Juni: «Studien zeigen, dass die Lichtintensität von LED-Displays, die in Fernsehgeräten, Laptops, Telefonen, Tablets oder Spielzeug verbaut sind, weniger als zehn Prozent der Höchstintensität beträgt, die zum Schutz der Netzhaut definiert worden ist. Das heisst, sie stellt bei normaler Nutzung kein Risiko für die Augen da.»

4. BEHAUPTUNG: Wer abends lange aufs Smartphone schaut, schläft schlechter ein.

BEWERTUNG: Stimmt.

FAKTEN: Viele Menschen greifen kurz vorm Schlafengehen noch einmal zum Handy. Sie checken E-Mails, lesen Nachrichten oder skypen mit dem Partner. Wissenschaftler raten hiervon ab. Denn auch wenn der Blauanteil im Licht des Smartphone-Displays keine Schäden der Netzhaut verursachen sollte, stört es doch den Schlaf.

So könne es nachweislich zu einer Unterdrückung des Hormons Melatonin kommen, ist sich die Forschung einig. Und das ist ein Problem: Melatonin macht uns abends müde, normalerweise wird das Hormon bei Dunkelheit ausgeschüttet. Doch das helle Licht des Smartphones signalisiert dem Körper genau das Gegenteil: Es ist Tag, bleibe wach!

5. BEHAUPTUNG: Die elektromagnetische Strahlung von Smartphones kann Krebs verursachen.

BEWERTUNG: Stimmt nach bisherigen Erkenntnissen nicht, aber ein Restrisiko besteht.

FAKTEN: Für viel Aufsehen sorgte im April ein Gerichtsurteil in Italien. Einem Mann wurde Schmerzensgeld zugesprochen, weil in seinem Kopf ein Hirntumor gewachsen war. Die Richter bewerteten den Krebs und seine Folgen als Berufskrankheit – der Mann hatte für seinen Arbeitgeber täglich mehrere Stunden mit dem Handy telefoniert.

Langzeitstudie sieht kein erhöhtes Tumorrisiko für Erwachsene bei zu massivem Handygebrauch.
Langzeitstudie sieht kein erhöhtes Tumorrisiko für Erwachsene bei zu massivem Handygebrauch.
Dpa

Die bislang grösste Langzeitstudie «Interphone» mit mehr als 12'000 Teilnehmern kam 2010 zu dem Ergebnis, dass bei durchschnittlicher Nutzung des Handys kein erhöhtes Tumorrisiko für Erwachsene besteht. Allerdings beanstandeten Kritiker handwerkliche Fehler des internationalen Projekts. Eine andere Langzeituntersuchung hat deshalb bereits begonnen: Im Rahmen der sogenannten «Cosmos»-Studie werden seit elf Jahren 290'000 Handy-Nutzer in fünf europäischen Ländern medizinisch gecheckt. Erste Ergebnisse stehen noch aus.

Wegen der verbleibenden Unsicherheit bezüglich der Langzeitnutzung empfiehlen Ärzte aber, das Handy so selten wie möglich direkt an den Kopf zu halten. Ein Headset oder die Lautsprecherfunktion seien gute Alternativen. 

7. BEHAUPTUNG: Ein Handy in der Hosentasche kann bei Männern die Fruchtbarkeit reduzieren.

BEWERTUNG: Stimmt nach bisherigen Erkenntnissen nicht.

FAKTEN: Wo ist das Smartphone immer griffbereit? Richtig, in der Hosentasche. Deshalb bewahren viele Männer das Handy in der Nähe ihres Geschlechtsteils auf. Weit verbreitet ist die Behauptung, dass die Technik Einfluss auf die Spermienbildung und somit auf die Fruchtbarkeit nehmen kann.

Richtig ist, dass die Hoden ebenso wie die Augen zu den temperatursensiblen Körperteilen gehören. Wenn sie dauerhaft zu warm werden, stört das ihre Funktion. Allerdings ist die Wärme des Handy-Akkus oder die Strahlungsenergie für diesen Effekt nicht ausreichend, sind sich Ärzte sicher. Eine Studie im Auftrag des deutschen Bundesamtes für Strahlenschutz zeigte bei einem Abstand von einem Zentimeter eine strahlungsbedingte Erwärmung der Hoden um weniger als 0,01 Grad.

Zurück zur Startseite