Zurückgelassene Tiere in der Ukraine Die stillen Zeugen des Krieges 

von Andrea Moser

28.4.2022

Über fünf Millionen Menschen sind seit Beginn des Krieges in der Ukraine aus dem Land geflüchtet. Oft müssen sie ihre Tiere zurücklassen. Diese kämpfen traumatisiert um ihr Leben. Trotzdem gibt es für manche ein Happy End. 

von Andrea Moser

28.4.2022

Alexander Feldman schaut traurig in die Kamera. Man muss ihn nicht verstehen, man hört an seinem Tonfall, dass ihn etwas bedrückt. Es geht um seine Raubtiere. Für sie gibt es keine Rettung, erzählt Feldman. Er ist Gründer des privaten Tierparks Feldman Ökopark in der Nähe von Charkiw.

Dort beherbergte er unter anderem Löwen, Jaguare und Tiger. Die Gehege und die gesamte Infrastruktur seien von Artillerie und Luftwaffe getroffen worden. Es gebe keine Möglichkeit, die Tiere abzutransportieren und so zu retten. Feldman sah keinen anderen Ausweg, als seine Raubtiere einzuschläfern.

Wenig später gibt Feldman Entwarnung. «Heute ist unser Team mit einer ziemlich grossen Truppe zum Gebiet des Ökoparks durchgebrochen. Und obwohl es wieder Beschuss gab, hinderte uns das nicht daran, fünf Löwen und andere Tiere zu evakuieren», erzählt Feldman in einer weiteren Videobotschaft. Seit bald einem Monat sind Feldman und sein Team mit der Rettung der Tiere beschäftigt. Zu einem Video vom letzten Sonntag, das einen narkotisierten Tiger beim Abtransport zeigt, schreibt er, dass sie erst aufhören, wenn das letzte Tier in Sicherheit ist. 

Helfer bringen am 24. April einen betäubten Tiger aus dem Tierpark Feldman Ökopark in Sicherheit.

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Wohin mit evakuierten Löwen, Tiger und Bären? 

Während bereits die Unterbringung von Pflanzenfressern und Kleintieren in dieser grossen Anzahl eine Herausforderung ist, wird die Beherbergung von Raubtieren zu einer Herkulesaufgabe. Dieser Aufgabe widmet sich Nataliya Popova von der Tierschutzorganisation UAnimals. Als sie sah, wie zurückgelassene Tiere aus Zoos und Reservaten verhungerten oder getötet wurden, handelte sie. Sie verwandelte ihre Pferdesportanlage in der Nähe von Kiew kurzerhand in ein Refugium für Wildtiere, schreibt der «Guardian»

Bei Nataliya Popova bleiben die tierischen Neuankömmlinge jedoch nur kurz. Über hundert Zootiere hat sie bereits an Zoos in Bulgarien und Polen weitervermittelt, wo sie eine sichere Bleibe erhalten. Unter ihnen sind auch sieben Bären, vier Tiger und drei Löwen aus dem zerstörten Tierpark von Alexander Feldman. 

Ein Tiger in seiner neuen Bleibe in einem Zoo in Polen. Davor wurde er aus der Ukraine gerettet und evakuiert.  
Ein Tiger in seiner neuen Bleibe in einem Zoo in Polen. Davor wurde er aus der Ukraine gerettet und evakuiert.  
KEYSTONE/EPA/Jakub Kaczmarczyk POLAND OUT

Roadtrip im Van mit Löwe und Wolf 

Eine aussergewöhnliche Reise nahm der 45-jährige Engländer Tim Locks auf sich. Er lieferte Hilfsgüter von England aus in die Ukraine. Dort hörte er, dass ein Löwe und ein Wolf nur knapp eineinhalb Kilometer von einem umkämpften Gebiet entfernt zurückgelassen wurden. Er nahm über tausend Kilometer von Lwiw ganz in den Südwesten der Ukraine auf sich, um die beiden Raubtiere zu retten.

Simba und Akela, wie er die beiden taufte, lud er per Kran in ihren Käfigen in den Kofferraum seines Vans, schreibt die «Daily Mail». Allein das Verladen dauerte mehrere Stunden, da die beiden Käfige nur ganz knapp in den Kofferraum passten. Mit Wolf und Löwe im Gepäck passierte Locks die Grenze zu Rumänien. Dort haben Simba und Akela nun ein sicheres Plätzchen in einem Zoo.

Löwe Simba ht die Fahrt in Tim Locks Van überstanden und ist am 23. März sicher in seinem neuen Zuhause in Rumänien angekommen. 
Löwe Simba ht die Fahrt in Tim Locks Van überstanden und ist am 23. März sicher in seinem neuen Zuhause in Rumänien angekommen. 
KEYSTONE/AP Photo/Eldar Emric

Auch Hunde und Büsi sind auf der Flucht 

Kleinere Tiere wie Hunde und Katzen sind im Gegensatz zu Zootieren zwar meistens nicht eingesperrt, laufen dafür aber aus Angst davon und werden von ihren Besitzern nicht wieder gefunden. Das Resultat sind zahlreich zurückgelassene Haustiere.

Als tausende Menschen aus Kiew flüchteten, tat Asya Serpinska das Gegenteil. Sie blieb. Die 77-jährige betreibt in Hostomel ihr eigenes Tierheim. Die Siedlung liegt nördlich von Butscha.

Während draussen der Krieg tobte, versuchte Serpinska zusammen mit zwei Helfern, 700 Hunde, 100 Katzen und einen geretteten Löwen am Leben zu halten. «Ich wusste, dass es in meiner Verantwortung lag, für sie zu sorgen», sagte Serpinska in der «Washington Post»

Eine Katze sitzt in einer Munitionskiste in Butscha. Viele Tiere mussten von ihren Besitzern zurückgelassen werden. 
Eine Katze sitzt in einer Munitionskiste in Butscha. Viele Tiere mussten von ihren Besitzern zurückgelassen werden. 
KEYSTONE/AP Photo/Rodrigo Abd

Obwohl Serpinska bereits zahlreiche Tiere bei sich aufgenommen hat, kommen laufend neue dazu. Sie erzählt von einem Tierheim in Borodjanka, wo Hunde ohne Nahrung in Käfigen zurückgelassen wurden. Weit über die Hälfte der rund 500 Tiere war bereits tot, als Serpinska eintraf. Sie öffnete zuerst die Käfige und liess die restlichen Tiere frei. Danach kümmerte sie sich um die Hunde. 

Traumatisierte Fellpfoten in Tierheimen 

Ebenfalls Unterschlupf gefunden haben rund 150 Hunde und 200 Katzen in einem Tierheim in Lwiw. Was mit ihren Besitzern passiert ist, ist unbekannt. Einige der Vierbeiner wurden von Soldaten, Passanten und Tierschützern in und vor zerstörten Häusern gerettet. Manche streunen auf den Strassen herum, andere landen in völlig überfüllten Tierasylen.

Freiwillige Helfer kümmern sich nun um sie, gehen mit den Hunden spazieren, spielen mit den Katzen und versorgen verletzte Tiere medizinisch. «Viele sind traumatisiert. Manche Hunde haben immer noch Angst. Sie weigern sich, ihren Zwinger oder das Gebäude zu verlassen», sagt Orest Zalipsk, Direktor des Tierheims «House of Rescued Animals», dem amerikanischen Nachrichtensender Radio Free Europe

Wie eine angeschossene Hündin in Polen laufen lernt 

Auch in Polen sind freiwillige Helfer für verletzte Tiere aus der Ukraine im Einsatz. Freiwillige bergen und bringen sie über die Grenze. So ging es auch der kleinen Hündin Vira, die erst aus dem Donbass in die Westukraine gelangte und von dort in die Klinik ins polnische Przemysl.

«In ihrem Rückgrat steckt eine Kugel», erklärt der polnische Veterinär Jakub Kotowicz und zeigt auf eine helle runde Stelle auf dem Röntgenbild. Das Projektil habe das Tier vor zwei oder drei Jahren getroffen, schätzt er. Auch damals war der Donbass schon Kriegsgebiet. Ein Nerv sei beschädigt, eine Operation zu riskant. Nun soll Physiotherapie Hündin Vira wieder auf die Beine helfen.

Hündin Vira lernt unter der Obhut von Tierarzt Jakob Kotowicz wieder laufen.
Hündin Vira lernt unter der Obhut von Tierarzt Jakob Kotowicz wieder laufen.
KEYSTONE/AP Photo/Sergei Grits

Die Tierklinik liegt im Südosten Polens, nahe der Grenze zur Ukraine. Eine gemeinnützige Stiftung betreibt hier ein modernes Tierheim für Hunde und Katzen, aber auch für verletzte Wildtiere. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine behandeln die Tierärzte, Physiotherapeuten und Pfleger zunehmend kranke und verletzte Tiere aus dem Nachbarland, die plötzlich unbehütet geworden sind.

Rund 900 Hunde aus der Ukraine hätten seine Kollegen und er in den vergangenen Kriegswochen behandelt, sagt Tierarzt Kotowicz, einer der Mitgründer der Stiftung. Die meisten haben mittlerweile ein neues Zuhause bei Hundefreunden in Polen oder in anderen europäischen Ländern gefunden. 

Neues Leben für Ziegenkitz Sascha

Doch es sind nicht nur Haustiere, die in der Tierklinik behandelt werden. Auch ein Storch mit gebrochenem Flügel und eine verletzte Fledermaus gehören zu den Patienten aus der Ukraine.

Tierarzt Redeslew Fediczynsk kümmert sich liebevoll um das kleine Ziegenkitz Sascha. 
Tierarzt Redeslew Fediczynsk kümmert sich liebevoll um das kleine Ziegenkitz Sascha. 
KEYSTONE/AP Photo/Sergei Grits

Und Sascha – das kleine Ziegenkitz. Es wurde mit nach hinten gekrümmten Vorderläufen geboren. Die Besitzerin der Mutterziege lebt auf dem Land in der Nähe von Lwiw, sie wandte sich verzweifelt an die polnische Tierklinik. Die Spezialisten dort liessen Orthesen für Saschas Vorderläufe anfertigen, die sie ihm stundenweise anschnallen. Jetzt macht die kleine Ziege auch ohne die Stützen fröhliche Bocksprünge im Hof.

«Auch Sascha ist ein Opfer des Krieges», sagt Tierarzt Redeslew Fedaczynski. Mittlerweile sei der kleine Ziegenbock in der ganzen Ukraine bekannt – und ein Symbol der Hoffnung.

Von der Ukraine nach Frankreich: Neues Leben für Hunde und Büsi

Von der Ukraine nach Frankreich: Neues Leben für Hunde und Büsi

Kontrollbesuch in der Tierklinik Pont-de-Neuilly: Hund Cooper ist vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. Über Vereine ist er nach Frankreich gekommen, um neue Besitzer zu finden. Doch zuerst gibts einen gründlichen Gesundheitscheck.

31.03.2022

Mit Material von dpa