Hass im Netz «Du dumme Schlampe» –  Frauen sind stärker unter Beschuss

dpa

16.11.2018

Die ESC-Gewinnerin von 2010, Lena Meyer-Landrut, macht die Hasskommentare gegen sie publik.
Die ESC-Gewinnerin von 2010, Lena Meyer-Landrut, macht die Hasskommentare gegen sie publik.
EPA GETTY IMAGES

Wer im Rampenlicht steht, zieht auch Missgunst und Hass an. Das anonyme Internet macht es Trollen leicht. Bei weiblichen Promis zielen sie noch häufiger unter die Gürtellinie – nun wehrt sich ein Star.

Es trifft Schauspielerinnen und Politikerinnen, Reporterinnen und Sängerinnen. «Du dumme Schlampe», «Hure», «hässlich und nichts wert», «Widerliches Weib», «Du wirst nie genug sein» - all diese Beschimpfungen haben Lena Meyer-Landrut erreicht. Die 27-jährige Sängerin («Satellite») hatte die Nase voll. Sie schrieb all das mit schwarzem Stift auf einen Spiegel und fotografierte sich darin mit Blitzlicht. Mit dem Selfie erreichte die ESC-Gewinnerin von 2010 innerhalb eines Tages rund 150'000 Likes, Tausende antworteten ihr.



«Der Hass im Netz betrifft alle Geschlechter, aber er nimmt bei Frauen eine andere Facette an», sagt Ingrid Brodnig. Die Journalistin hat ein Buch darüber geschrieben, was Menschen einander im Internet antun. «Wenn Frauen online beleidigt werden, dann geht es sehr schnell um das Körperliche, dann wird es erniedrigend, das Aussehen wird herabgewertet, man wird als Schlampe bezeichnet.» Schnell kommen auch Bedrohungen dazu, bei Frauen meist mit Vergewaltigung. «Da geht es um eine Entwertung als Mensch an sich», sagt Brodnig.

Die Liste der Frauen, die über Erfahrungen damit sprechen, ist lang. Die Moderatorinnen Anja Reschke (NDR) und Dunja Hayali (ZDF) machen das seit Jahren öffentlich. Im Sommer ergoss sich so viel Hetze über Fussballexpertin Claudia Neumann, dass das ZDF Strafanzeige stellte.

«Leg dir mal ein paar Titten zu, du Nutte»

«Es lag nicht an ihren Worten, sondern daran, dass ich begann, sie zu glauben», schrieb im August die US-Schauspielerin Kelly Marie Tran («Star Wars: Die letzten Jedi») in einem Kommentar in der Zeitung «New York Times». Seit ihrer Rolle in der Kult-Kinoreihe war die 29-Jährige monatelang online gemobbt worden. Irgendwann löschte Tran den gesamten Inhalt ihres Instagram-Kontos, weil sie die hässlichen Kommentare über ihr Geschlecht und ihr Aussehen nicht mehr ertrug. Der Account mit rund 238'000 Followern ist bis heute leer.

Die auf Twitter aktive Linken-Politikerin Julia Schramm sammelte eingehende Hassnachrichten - «Leg dir mal ein paar Titten zu, du Nutte» und schlimmeres - in einem eigens eingerichteten Blog und veröffentlichte sie Anfang des Jahres als Buch. «Ich glaube, dass die meisten Männer, die solche Sachen schreiben, dass die auch gar nicht wissen, was das anrichtet», sagte sie gegenüber Deutschlandfunk Kultur.

«Es ist weniger beklemmend, brutal im Internet zu sein, weil ich den anderen nicht sehe, weil ich nicht ansehen muss, was ich auslöse und weil der andere mich nicht sieht», erklärt Autorin Brodnig.

«Dahinter kann extreme Wut stehen»

Dazu kommt laut dem Marburger Sozialpsychologen Ulrich Wagner «brutaler Sexismus», der sich zu der brutalen Sprache gesellt. «Die negativen Stereotype, die über Frauen existieren, lassen sich an dieser Stelle einfach viel leichter ausnutzen», sagt er.

Vor dem Aufkommen des Internets seien solche Gemeinheiten höchstens per anonymem Brief möglich gewesen, sagt der Psychologe. «Das hatte ja bei weitem nicht den Thrill, wenn man da erst zum Briefkasten gehen muss und sich dann vorstellt, in zwei Tagen kommt der Brief an. Das ist ja nicht so unmittelbar», erklärt er die Zunahme an Hass.

Die Verfasser handelten aus verschiedenen Motiven. «Dahinter kann Sexismus stehen, dahinter kann aber auch extreme Wut stehen», sagt Wagner. Auch Brodnig sieht verschiedene Typen von Beleidigern. «Manche wollen Aggressionen abladen, manche erfreuen sich daran, andere zu erniedrigen.» Trolle etwa seien nur dafür im Internet unterwegs, um sich am Leid anderer zu ergötzen.

Hass thematisieren

Meyer-Landrut habe mit ihrem Spiegel-Selfie genau richtig reagiert, sagt Expertin Brodnig. Indem sie die Beleidigungen auf den Spiegel schreibe, zeige sie das Problem, ohne den Beschimpfenden selbst eine Bühne zu bieten. «Sie entwendet ihre Worte, um es zu thematisieren.»

Solche Erlebnisse anzusprechen, sei wichtig. «Auch wenn jemand berühmt ist, nagt das an einem. Niemand ist so hart, dass das komplett spurlos an einem vorübergeht», sagt Brodnig. «Das Schlimmste ist, wenn Opfer sowas in sich hineinfressen, wenn sie das nicht teilen.» Extreme Beschimpfungen solle man anzeigen.

Sorge bereitet der Autorin ein anderer Effekt: Studien etwa der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge trauten sich viele Frauen nach solchen Wellen von Hass nicht mehr, ihre Meinung kundzutun. «Da besteht die Gefahr, dass Frauen aus der öffentlichen Debatte verdrängt werden, weil sie ein anderes, brutaleres Internet erleben.»

Lena Meyer-Landrut jedenfalls meldete sich am Tag nach ihrem Spiegel-Selfie erneut zu Wort. Neben einem Foto ihres Gesichts, über dem «Growth through Resistance» (Wachstum durch Widerstand) steht, rief sie dazu auf, sich auf Positives und Liebe zu konzentrieren.

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