Kanada Geheime Gräber von mindestens 600 Kindern entdeckt

AP/phi

26.6.2021

Die Marieval Indian Residential School auf einem undatierten Foto.
Die Marieval Indian Residential School auf einem undatierten Foto.
Bild: Société historique de Saint-Boniface

Wenige Wochen nach der Entdeckung eines Massengrabs an einer Schule werden erneut Hunderte Gräber gefunden. Eine 80-Jährige erzählt, wie es ihr als Schülerin dort ergangen ist.

AP/phi

26.6.2021

An der Stelle einer früheren Internatsschule für Kinder von Ureinwohnern in Kanada sind mehr als 600 nicht gekennzeichnete Gräber gefunden worden, nachdem erst Anfang des Monats an einem anderen Internat ein Massengrab gefunden worden war.

Ein Bodenradar habe bei Untersuchungen an der Marieval Indian Residential School 751-mal angeschlagen, sagte Häuptling Cadmus Delorme vom Volk der Cowessess. Experten gingen von einer Fehlermarge von zehn Prozent aus, was bedeute, dass dort mehr als 600 Leichen lägen.

Vom 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre waren mehr als 150'000 Kinder aus indigenen Familien gezwungen worden, in christliche Schulen zu gehen, die staatlich finanziert worden sind. Vordergründiges Ziel war es, jene Kinder in die kanadische Gesellschaft zu «integrieren»: Sie mussten konvertieren und durften nicht mehr die Stammessprachen sprechen.

«Wir haben gelernt, nicht zu mögen, wer wir sind»

Viele Kinder wurden geschlagen: Die Zahl der Opfer unter den Indigenen wird auf 6000 geschätzt. Die erhöht sich durch den aktuellen Fund in der Schule in der Provinz Saskatchewan beträchtlich, die von 1899 bis 1997 in Betrieb war.

Lehrer und Schüler der Marieval Indian Residential School auf einem Foto aus den 40er Jahren.
Lehrer und Schüler der Marieval Indian Residential School auf einem Foto aus den 40er Jahren.
Bild: Société historique de Saint-Boniface

Die frühere Schülerin Florence Sparvier berichtet, die Nonnen an der Schule seien hässlich zu ihren Schutzbefohlenen gewesen. Sie hätten ihr Volk verurteilt. «Wir haben gelernt, nicht zu mögen, wer wir sind», sagte die 80-Jährige. «Wir mussten lernen, römisch-katholisch zu sein.»

Häuptling Delorme sagte, die Ermittlungen würden fortgesetzt. Die Gräber hätten früher Kennzeichen gehabt. Sie seien aber von der katholischen Kirche beseitigt worden, die die Schule betrieben habe. Eine Entschuldigung wäre ein Schritt auf dem Weg der Heilung.

Premierminister Justin Trudeau twitterte, er fühle mit der Cowessess-Nation. «Wir werden die Wahrheit über diese Ungerechtigkeiten sagen», versprach er.

Im Mai waren die sterblichen Überreste von 215 Kindern, einige von ihnen nicht älter als drei Jahre, am einst grössten kanadischen Internat für Indigene nahe der Ortschaft Kamloops in British Columbia gefunden worden. Die kanadische Regierung hat für die Verbrechen an den Einheimischen 2008 offiziell um Entschuldigung gebeten.