AusstellungGerhard Richters vieldeutige Landschaften im Kunsthaus Zürich
fa, sda
26.3.2021 - 08:01
Landschaftsmalerei von Gerhard Richter changiert: sie spielt mit der fotografischen Darstellung und ist Fiktion; sie bezieht sich auf die Romantik und unterläuft sie. Die Ausstellung «Gerhard Richter. Landschaft» im Kunsthaus Zürich.
Keystone-SDA, fa, sda
26.03.2021, 08:01
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Der gebürtige Dresdner Gerhard Richter hat am 9. Februar seinen 89. Geburtstag gefeiert; er gilt als höchstdotierter lebender Maler überhaupt und führt weltweit Künstler-Rankings an. Im letzten Jahr hat er angekündigt, nicht mehr zu malen: «Irgendwann ist eben Ende. Das ist nicht so schlimm. Und alt genug bin ich jetzt», sagte er der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Doch statt nach dem Pinsel für grossformatige Malerei, greift er nun zu Farbstift und Fettkreide für kleinformatige Zeichnungen.
Einen Ausschnitt dessen, was Richter gemalt hat, zeigt nun das Kunsthaus Zürich in einer Einzelausstellung – im Übrigen der zweiten in der Schweiz überhaupt. 2014 hatte die Fondation Beyeler in einer Einzelausstellung einen Überblick über des Werk von Richter geboten. Nun widmet sich das Kunsthaus Zürich mit «Gerhard Richter. Landschaft» bis am 25. Juli Richters Landschaftsmalerei, einer zentralen Bildgattung seines Schaffens.
«Kuckucksei»
Landschaftsmalerei?, möchte man fragen. Ist das nicht aus der Zeit gefallen? Die Gattung weist ins 19. Jahrhundert, populär waren damals Gemälde mit weitem Himmel und tiefen Horizonten, Wolken, Regenbögen, Nebellandschaften, Sonnenuntergänge, das Meer oder die Alpen. Künstler, wie der deutsche Romantiker Caspar David Friedrich (1774-1840) suchten in ihren Darstellungen die Offenbarung des Göttlichen. Für Richter ist Friedrich in manchen seiner Bilder ein Referenzpunkt. Er knüpft an die Ästhetik an und stellt sie gleichzeitig in Frage. Ein Beispiel dafür ist Richters «Eis» aus dem Jahr 1981, das nun in Zürich zu sehen ist. Es lässt an Friedrichs «Eismeer» (1823) denken, vermittelt eine ähnliche Stimmung und kann als romantisch empfunden werden.
Ein weiteres Beispiel ist das Gemälde «Ruhrtalbrücke» (1969), das ebenfalls Teil der Ausstellung ist. Ausgerechnet das Ruhrgebiet, mit seinen rauchenden Schloten oder den Kohlefördertürmen der Inbegriff einer Industrielandschaft, stellte Richter als heile Welt dar: Das Gemälde zeigt eine Brücke, die sich über ein grünes Tal spannt; das Tal durchflossen von dem silbernen Fluss Ruhr; keine Menschenseele; darüber wölbt sich auf nahezu drei Vierteln des Bildes blauer Himmel.
Es gibt einen Dokumentarfilm (von Hannes Reinhardt), der an diesem Bild zeigt, wie Richter gearbeitet hat: wie er diese Brücke fotografiert, das Foto anschliessend in seinem Atelier auf eine Leinwand projiziert, die Umrisse mit Kohle nachzeichnet, mit breitem Pinselstrich Farbe aufträgt und anschliessend verwischt. Richter sagte selbst dazu, dass Caspar David Friedrich «einen gewissen Einfluss» gehabt habe. Aber Bilder wie «Eis» oder «Ruhrtalbrücke» bezeichnet er als «Kuckucksei»: «Weil man heute nicht mehr so malen kann, nicht mehr so denkt. Insofern ist es so getan als ob», so Richter gegenüber der DPA.
Aber: Solche Werke zeigen «meine Sehnsucht», sagte Richter 1981, sie seien ein «Traum nach klassischer Ordnung und heiler Welt», zitiert ihn das Kunsthaus Zürich in seiner Mitteilung zur Ausstellung – und verweist gleichzeitig auf ein subversives Moment. Denn zu jener Zeit gaben Kunstströmungen wie Pop Art, Konzeptkunst und politisch motivierte Werke den Ton an. Richter habe «gegen den Trend» gemalt.
«Hoffnungsschimmer»
Romantisierende Bilder machen jedoch nur einen Teil von Richters Schaffen aus. Die Ausstellung im Zürcher Kunsthaus zeigt Richters Schaffensprozess von 1957 bis 2018. Sie ist thematisch gegliedert: Gemälde, die Fotografien von Landschaften nachempfunden sind oder abstrahierte Landschaften oder fiktionale Konstrukte von Landschaften, die es so nicht geben kann oder übermalte Landschaften.
Insgesamt werden 140 Arbeiten ausgestellt, neben 80 Gemälden auch Zeichnungen, Fotocollagen, übermalte Fotografien, Druckgrafiken und Künstlerbücher. «Gerhard Richter. Landschaft» wurde vom Gastkurator Hubertus Butin aus Berlin und Cathérine Hug vom Zürcher Kunsthaus kuratiert und war im Übrigen bis Anfang März bereits im Kunstforum Wien zu Gast; wegen der Pandemie war sie dort allerdings mehrheitlich geschlossen.
Vor diesem Hintergrund gibt das Kunsthaus Zürich der Landschaftsmalerei von Gerhard Richter einen weiteren Dreh: Die Bewunderung für Landschaften und ihre ästhetische Qualität wächst, je mehr sie durch Kriege und ökologische Katastrophen zerstört werden. Das war im 19. Jahrhundert so – und ist jetzt wieder so, in Zeiten der Corona-Krise, mit ihren Geboten sozialer Distanz und eingeschränkter Mobilität. Insofern will das Kunsthaus die Landschaftsmalerei von Gerhard Richter als «Hoffnungsschimmer» verstanden wissen.
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