Manipulierte Bremskontrollen Bundesamt für Verkehr will SBB auf Vier-Augen-Prinzip hinweisen

SDA/uri

3.9.2021 - 14:30

Bremse an einem Güterwagen im Rangierbahnhof Limmattal in Dietikon ZH. (Archivbild)
Bremse an einem Güterwagen im Rangierbahnhof Limmattal in Dietikon ZH. (Archivbild)
Keystone

Über Monate hinweg hat ein Techniker der SBB in einer Werkstatt fiktive Werte in ein Prüfsystem eingegeben, weshalb defekte Bremsen nicht entdeckt und in Züge eingebaut wurden. Der Mann wurde im Juni 2020 fristlos entlassen. 

Keystone-SDA, SDA/uri

Ein SBB-Techniker hat in einer Werkstatt laut dem Bundesverwaltungsgericht über Monate hinweg mutmasslich Hunderte Bremskontrollen an Personenzügen manipuliert. Laut dem Bahnunternehmen gefährdete er dadurch die Sicherheit der Kundschaft aufs Gröbste.

Anstatt die Bremsen von Personenzügen korrekt zu kontrollieren, trug der Mann fiktive Werte in ein Prüfsystem ein. So wurden defekte Bremsen nicht entdeckt und in Züge eingebaut. Im Fall einer Notbremse hätten möglicherweise Züge daher nicht schnell genug gebremst werden können, wie es in einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. August heisst. Über dieses berichteten Tamedia-Zeitungen am Freitag.

Der Techniker überlistete laut dem noch nicht rechtskräftigen Urteil mit fingierten Werten das System absichtlich und konnte das Prüfverfahren abkürzen. Aufgeflogen ist der SBB-Mitarbeiter im Mai 2020, nachdem Arbeitskollegen Verdacht geschöpft und ihm eine Falle gestellt hatten.

Wie lange der Mitarbeiter zuvor die Kontrollresultate mutmasslich manipulierte, war zunächst unklar. Das Bundesverwaltungsgericht nannte Hunderte Kontrollen, die der Mann durchführte. Bei einer Stichprobe im Mai 2020 waren 80 Prozent von 95 überprüften Messungen wohl falsch. Laut der Zeitung ist der Mann 26 Jahre alt und war von 2012 bis 2020 für die SBB tätig.

SBB: Alle Bremsteile nachkontrolliert

Die SBB teilten der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit, dass es sich um einen absoluten Einzelfall handle. Alle betroffenen Bremszangen seien identifiziert und nachkontrolliert worden. Insgesamt seien mehrere hundert Bremszangen kontrolliert worden, wovon sechs mangelhaft gewesen seien.

Die Sicherheit der Reisenden sei nie akut gefährdet gewesen, hiess es weiter. Denn es sei nie eine Person alleine für die Sicherheit eines Zuges verantwortlich. Grundsätzlich fahre im täglichen Betrieb kein Zug ab, bevor die Lokführerin oder der Lokführer nicht eine Bremsprobe gemacht habe. Eine Zugskomposition ohne korrekt funktionierende Bremse würde entdeckt und somit gar nicht zum Einsatz kommen, hiess es.

SBB: Sicherheit der Kundschaft auf das Gröbste gefährdet

Gegenüber dem Gericht hatten die SBB erklärt, der Mann habe mit seiner Arbeitsweise den Eisenbahnbetrieb sowie die Sicherheit der Kundschaft auf das Gröbste gefährdet. Diese Argumentation sei arbeitsrechtlicher Natur gewesen, sagte eine Sprecherin. Dabei habe man auf die potentielle Gefahr aufmerksam machen wollen, reell habe diese jedoch nie bestanden.

Der Mann räumte gegenüber dem Gericht Fehler respektive ungenaue Messungen ein, bestritt jedoch eine absichtliche Täuschung. Zudem sei ein Zusammenhang zwischen seinen Handlungen und festgestellten Schäden an Bremszangen nicht erwiesen. Er kritisierte seinen Arbeitgeber, er sei ungenügend ausgebildet und instruiert worden.

Die SBB entliessen den Mitarbeiter im Juni 2020 fristlos. Er focht dies an und verlangte eine Entschädigung in der Höhe eines Jahreslohnes. Das Bundesverwaltungsgericht hielt die fristlose Kündigung angesichts der Tragweite aber für gerechtfertigt und wies die Beschwerde ab. Der Mann kann das Urteil beim Bundesgericht anfechten.

Bundesamt für Verkehr will Fall «ansprechen»

Das Bundesamt für Verkehr (BAV), die Aufsichtsbehörde über die SBB, sieht sich nicht in der Verantwortung. Diese liege bei den Transportunternehmen und den Instandhaltungsverantwortlichen, teilte das BAV auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit. Das BAV führe nur Stichproben durch, um zu überwachen, ob die Verantwortung wahrgenommen werde.

Der vorliegende Fall sei nicht meldepflichtig, so das Bundesamt weiter. Das BAV sei also nicht direkt involviert und kenne die Details nicht. Man werde den Vorfall jedoch ansprechen und insbesondere auf den Aspekt des Vier-Augen-Prinzips aufmerksam machen, hiess es.