Zum Start ins neue Jahr sagt Klimaaktivistin Greta Thunberg, was sie von den wohlhabenden Staaten erwartet – und welche Hoffnungen sie auf Joe Biden setzt.
Klimaaktivistin Greta Thunberg redet den wohlhabenden Ländern ins Gewissen, beim Kampf gegen die Klimakrise 2021 den Weg in eine CO2-ärmere Zukunft zu weisen. «Unser Teil der Welt hat sich im Pariser Klimaabkommen dazu verpflichtet, die Richtung vorzugeben», sagte die junge Schwedin in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in Skandinavien. Für das Funktionieren des Abkommens sei entscheidend, dass reichere Länder vorangingen und die ersten Schritte machten. «Es ist einfach logisch und angemessen, dass diejenigen den Weg weisen, die die meisten Ressourcen und die besten Möglichkeiten dazu haben.»
Zugleich mahnte Thunberg an, dass sofort gehandelt werden müsse, anstatt den Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe mit fernen Zielsetzungen in die Zukunft aufzuschieben. «Wir müssen aufhören, uns auf diese vagen, entfernten und höchst hypothetischen Ziele zu fokussieren und uns stattdessen damit abfinden, dass wir uns jetzt ändern müssen», sagte die 18-Jährige. Im Augenblick brauche die Menschheit die verbliebenen CO2-Budgets auf – und wenn die verbraucht seien, nützten auch Klimaziele für 2030 oder 2050 nichts mehr.
«Wir müssen erkennen, was getan werden muss»
Unter CO2-Budgets versteht man die Restmenge an Treibhausgasen, die die Menschheit nach wissenschaftlichen Erkenntnissen noch in die Luft pusten darf, um eine grössere Chance auf eine Begrenzung der globalen Erwärmung unterhalb einer bestimmten Temperatur zu haben. Der Weltklimarat IPCC bezifferte dieses Budget in einem Sonderbericht 2018 auf 420 Gigatonnen, damit das Ziel einer Begrenzung unter 1,5 Grad Celsius bezogen auf die bodennahe globale Lufttemperatur mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent erreicht werden kann. Bei gleichbleibendem Jahresausstoss – 2018 lag er bei 42 Gigatonnen (42 Milliarden Tonnen) – ist dieses Budget schon in etwa sieben Jahren aufgebraucht.
Die Staaten der Erde hatten sich Ende 2015 in Paris darauf geeinigt, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen sowie alles daran zu setzen, den Temperaturanstieg bereits bei 1,5 Grad zu stoppen. Auf dem Weg zu diesen Zielmarken hatte die Europäische Union in diesem Dezember ihr gemeinsames Klimaziel für 2030 von 40 auf mindestens 55 Prozent CO2-Verringerung im Vergleich zum Jahr 1990 angehoben.
Thunberg sieht dieses Klimaziel kritisch. «Diese Ziele klingen sehr eindrucksvoll und erscheinen sehr gut, bis man ins Detail geht», sagte sie. Sie moniert, dass sich die EU auf Vergleichswerte aus dem Jahr 1990 und nicht 2010 beziehe und zudem nicht alle Emissionen miteinrechne – und dass der Fokus eher auf fernen Zielsetzungen als auf sofortigem Handeln liege. «Wir müssen uns klarwerden, dass wir jetzt handeln müssen.» Ihrer Meinung nach brauche es dringend «ein Erwachen», sagte sie: «Man muss einsehen, wo wir jetzt stehen. Und wir müssen erkennen, was getan werden muss.»
«Es lastet etwas Druck auf ihm, gelinde gesagt»
Dass in den USA mit dem neuen Präsidenten Joe Biden auch eine voraussichtlich deutlich klimafreundlichere Politik ins Oval Office einziehen wird, stimmt Thunberg zuversichtlich. Der Wechsel im Weissen Haus könnte sicherlich einen grossen Schritt vorwärts bedeuten, sagte die Aktivistin, die 2019 für ihren Klimakampf per Segeljacht über den Atlantik in die USA gereist war. Ob Biden der richtige Mann für eine grosse Wende sei, müsse sich aber erst zeigen. «Wir müssen abwarten und schauen. Ich denke, die Zeit wird es zeigen. Es lastet etwas Druck auf ihm, gelinde gesagt.»
Der scheidende US-Präsident Donald Trump hatte in seinem Land viele Umweltvorschriften zurückgefahren und die USA zudem aus dem Pariser Weltklimaabkommen zurückgezogen. Biden will die Vereinigten Staaten direkt nach Amtsübernahme am 20. Januar ins Abkommen zurückbringen. Sein designierter Klimabeauftragter John Kerry hat schon angekündigt, die kommende US-Regierung werde die Klimakrise als die dringliche Bedrohung für die nationale Sicherheit behandeln, die sie darstelle.
Thunberg hofft auch darauf, dass das Bewusstsein für die Dringlichkeit der Klimakrise in der Weltbevölkerung wächst. Medien und andere Einflussträger müssten die Situation dafür klar als Krise benennen und behandeln. Dabei sei die drohende Klimakatastrophe – neben der Coronavirus-Pandemie – nur eine von unzähligen Krisen der Menschheit. «Die Klimakrise ist nur ein Symptom einer grösseren Nachhaltigkeitskrise», sagte Thunberg. Andere Symptome seien etwa der Verlust von Artenvielfalt und Ökosystemen sowie die Versauerung der Ozeane. «Das sind keine separaten Krisen. All das ist eine grosse Krise. Wir leben nicht nachhaltig, wir denken nicht langfristig.»
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