Guanziroli am Gericht Neulenker brettert innerorts mit 140 km/h an Polizei vorbei

Silvana Guanziroli

5.11.2018

Er drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Ein 21-jähriger Schweizer raste im zürcherischen Wallisellen mit über 140 km/h durchs Quartier – mehr als doppelt so schnell wie die erlaubten 60 Stundenkilometer. Nun steht der Rekord-Raser vor Gericht.

Er war im Rausch der Geschwindigkeit. Am Steuer seines getunten Polos raste der Neulenker im April 2017 über die Quartierstrasse in Wallisellen ZH. Die Nadel seines Tachos hatte sich bei 140 km/h eingeplendelt. Damit war der 21-Jährige schneller unterwegs als es auf der nahgelegenen Autobahn erlaubt ist.

Auf dieser Strasse zwischen Dietlikon und Wallisellen beschleunigte der 21-Jährige seinen Wagen auf mindestens 140 Stundenkilometer. Dafür muss er sich nun vor Gericht verantworten.
Auf dieser Strasse zwischen Dietlikon und Wallisellen beschleunigte der 21-Jährige seinen Wagen auf mindestens 140 Stundenkilometer. Dafür muss er sich nun vor Gericht verantworten.
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In dieser Sonntagnacht waren die Strassen glücklicherweise nur wenig befahren. Doch das schmälere das Verschulden des Neulenkers nicht, wie die zuständige Staatsanwaltschaft festhält. Der Beschuldigte habe ganz genau gewusst, dass durch seine Fahrt «die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern sehr stark erhöht war», schreibt sie in ihrer Anklageschrift. Sie wolle gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn ein Velo oder ein Auto zum falschen Zeitpunkt auf die Strasse eingebogen wäre. 

Das schreibt der Raserartikel vor

Gestoppt wurde der Junglenker schliesslich durch die Polizei. In seinem Raser-Wahn hatte er zu spät bemerkt, dass er ein Patrouillenfahrzeug gekreuzt hatte.

Jetzt folgt die rechtliche Quittung für den Sanitär-Installateur. Der Richter wird ihm mindestens eine Freiheitsstrafe von einem Jahr aufbrummen. So schreibt es der Raserartikel vor, der seit 2013 in der Schweiz in Kraft ist. 

Wer in der 30er-Zone mit 70 Stundenkilometern geblitz wird, fällt unter den Raserartikel. Das gleiche gilt auf Autobahnen bei einer Geschwindigkeitsübertretung von 80 km/h. Dann begehen die Raser eine qualifizierte grobe Verkehrsregelverletzung.
Wer in der 30er-Zone mit 70 Stundenkilometern geblitz wird, fällt unter den Raserartikel. Das gleiche gilt auf Autobahnen bei einer Geschwindigkeitsübertretung von 80 km/h. Dann begehen die Raser eine qualifizierte grobe Verkehrsregelverletzung.
Bluewin

Trotz harter Strafen: Geschwindkeitsüberschreitungen, wie sie der 21-Jährige  begangen hat, sind in der Schweiz keine Seltenheit. Bis Ende 2017 kam es hierzulande bereits zu 1'538 Veurteilungen. (Quelle: Bundesamt für Statistik). Und das sind nur die Raser, die erwischt wurden. Experten gehen von einer Dunkelziffer aus, die massiv höher liegt.

Der Raserartikel ist seit 2013 in Kraft. Insgesamt kam es in der Schweiz bisher zu 1538 Verurteilungen wegen qualifizierter grober Verkehrsregelverletzung. Die Zahlen für 2017 fehlen in der Grafik. Im letzten Jahr haben die Richter 401 Verurteilungen ausgesprochen.
Der Raserartikel ist seit 2013 in Kraft. Insgesamt kam es in der Schweiz bisher zu 1538 Verurteilungen wegen qualifizierter grober Verkehrsregelverletzung. Die Zahlen für 2017 fehlen in der Grafik. Im letzten Jahr haben die Richter 401 Verurteilungen ausgesprochen.
Bundesamt für Statistik

Gesetzesartikel ist umstritten

Der Bundesrat hat den Raserartikel vor fünf Jahren als Teil des Handlungsprogramms «Via Sicura» ins Strassenverkehrsgesetz aufgenommen. Ziel war es, die Zahl der Toten und Verletzten im Verkehr zu reduzieren.

Mit ein Grund für die Verschärfung waren schwere Unfälle nach Strassenrennen in den 2000er Jahren, die in der Bevölkerung Entsetzen auslösten: 2004 prallten in Rüti ZH vier Fahrzeuge ineinander, wobei drei Menschen ihr Leben verloren. Und in Schönenwerd SO musste eine 21-jährige Frau wegen rasenden Neulenkern sterben.

Doch nicht alle sind mit der Gesetzesverschärfung einverstanden. Der Raserarikel sorgt immer wieder für viel Zündstoff: «Zu scharf» oder «unverhältnismässig», heisst es bei den Gegnern. Stossend für sie: Die Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis.

Tatsächlich kritisieren auch Rechtsexperten, es sei nur schwer nachvollziehbar, dass im Vergleich dazu bei einer schweren Körperverletzung lediglich sechs Monate als Mindeststrafe gefordert sind. SVP-Nationalrat Ueli Giezendanner polterte deshalb wiederholt: «Hier werden Autofahrer kriminalisiert.»

Bundesart muss Gesetz lockern

Tatsächlich hat auch das Parlament Handlungsbedarf erkannt. Es sprach sich Ende Februar für eine Lockerung aus und gab dem Bundesrat damit den Auftrag zur Gesetzesänderung. Das Parlament verlangt, dass die Richter bei Fahrlässigkeit des Täters einen Ermessensspielraum erhalten. Die Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr soll gestrichen werden.

Das nützt dem 21-jährigen Neulenker in Zürich vor Gericht wenig. Noch ist der Raserartikel in Kraft. 


«Bluewin»-Redaktorin Silvana Guanziroli ist als Gerichtsberichterstatterin an den Zürcher Gerichten akkreditiert. In ihrer Serie «Guanziroli am Gericht» schreibt sie über die spannendsten Strafprozesse, ordnet ausgefallene Kriminalfälle ein und spricht mit Experten über die Rolle der Justiz. Guanziroli ist seit über 20 Jahren als Nachrichtenjournalistin tätig und hat die Polizeischule der Kantonspolizei Zürich absolviert.silvana.guanziroli@swisscom.com
«Bluewin»-Redaktorin Silvana Guanziroli ist als Gerichtsberichterstatterin an den Zürcher Gerichten akkreditiert. In ihrer Serie «Guanziroli am Gericht» schreibt sie über die spannendsten Strafprozesse, ordnet ausgefallene Kriminalfälle ein und spricht mit Experten über die Rolle der Justiz. Guanziroli ist seit über 20 Jahren als Nachrichtenjournalistin tätig und hat die Polizeischule der Kantonspolizei Zürich absolviert.
silvana.guanziroli@swisscom.com
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