Säureopfer «Ich will mich nicht verstecken»: Das Leben nach dem Säureanschlag

dpa

24.2.2019

Ihr Ex-Freund wollte ihr die Schönheit rauben und sie lebenslang leiden lassen: Vor drei Jahren schüttete er Vanessa Münstermann eine ätzende Flüssigkeit ins Gesicht. Wie sie den Anschlag überlebte, schildert sie in einer schonungslosen Autobiografie.

Das linke Auge zerstört, ein Ohr weggeätzt, die Hälfte von Gesicht und Hals starr und rot entzündet: In den ersten Wochen nach der Säure-Attacke ihres Ex-Freundes glaubte Vanessa Münstermann nicht, dass sie jemals wieder mit einem Mann Zärtlichkeiten austauschen würde. Heute ist die Frau aus Hannover Mutter einer acht Monate alten Tochter. Im Herbst will sie ihre Jugendliebe heiraten.

Vor wenigen Tagen erschien im Rowohlt Taschenbuch Verlag ihr Buch «Ich will mich nicht verstecken». Darin beschreibt die Kosmetikerin die Vorgeschichte des Verbrechens, für das ihr Ex-Freund eine zwölfjährige Haftstrafe wegen schwerer Körperverletzung verbüsst. Sie erzählt von Alpträumen, dem ersten Blick in den Spiegel, der Reha, dem Gerichtsprozess und Beziehungen zu Männern. «Ich habe meine Tagebücher abgegeben, ohne sie vorher noch einmal zu lesen», sagt die Frau mit den widerspenstigen dunklen Locken. «Da stehen Sachen drin, worüber ich noch gar nicht reden kann. Ich wollte nicht larifari machen. Ich wollte echt sein.»

So geht es ihr heute

Vanessa Münstermann hat ein Buch veröffentlicht.
Vanessa Münstermann hat ein Buch veröffentlicht.
Keystone

Mit Angst und Anspannung erwarte sie jetzt die Reaktionen, erzählt die 30-Jährige in einem Café in der Nähe von Hannover. Vor dem Interview hat sie eine Frau besucht, die sie seit längerem betreut. Ein Jahr nach dem Anschlag gründete Vanessa den Verein «AusGezeichnet», um Brandopfern und anderen Entstellten zu helfen.

Das 288-seitige Buch verfasste sie mit Regina Carstensen, die laut Verlag zuvor mit Autoren wie Torwart Oliver Kahn und Schauspielerin Allegra Curtis gearbeitet hat. In Telefonaten und bei Treffen rekonstruierten beide den Gerichtsprozess, der in den Tagebüchern fehlt. Zudem beschrieb die junge Mutter, wie es ihr mittlerweile geht: «super-glücklich, aber chronisch übermüdet». Ghostwriterin Carstensen sagt: «Mich hat beeindruckt, wie selbstbestimmt sie eigene Entscheidungen trifft und dass sie ein grosses Herz für andere hat.»

Der Täter bedroht sie immer noch

Ihr eigenes körperliches und psychisches Leiden spielt Vanessa eher herunter. Schlafstörungen und Ängste hat sie seit dem Anschlag, Dutzende Operationen musste sie über sich ergehen lassen, weitere werden folgen. Das Buch sei in erster Linie an ihre Tochter gerichtet, betont die Autorin. Noch immer hat Vanessa Angst davor, dass der Täter sie umbringt, wenn er eines Tages aus dem Gefängnis kommt. Er schrieb ihr aus der Haft beleidigende Briefe. Im Herbst erstritt Münstermann vor dem Landgericht Hannover in einem Zivilprozess 250'000 Euro Schmerzensgeld. Allerdings ist der heute 37-Jährige nach Angaben seines Anwalts pleite.

250'000 Euro Schmerzensgeld stehen Vanessa Münstermann laut Gerichtsbeschluss zu. Doch ihr Ex-Freund ist seinem Anwalt zufolge nicht zahlungsfähig.
250'000 Euro Schmerzensgeld stehen Vanessa Münstermann laut Gerichtsbeschluss zu. Doch ihr Ex-Freund ist seinem Anwalt zufolge nicht zahlungsfähig.
Keystone

Vanessa stellt sich in dem Buch selbst infrage. Sie wirft sich vor, in der sechsmonatigen Beziehung zu dem Täter nicht früher die Notbremse gezogen zu haben. «Ich bin lachend in die Kreissäge gelaufen», sagt sie. Der Mann habe sie mit morgens heimlich in die Brotbox gesteckten Liebesbotschaften eingelullt und später mit Selbstmorddrohungen unter Druck gesetzt. Erst im Gerichtssaal erfuhr sie von seinen 27 Vorstrafen und seiner von Gewalt geprägten Vergangenheit.

«Mein Tag war von Äusserlichkeiten bestimmt», kritisiert Münstermann ihr früheres Ich. «Meine Wimpern wurden länger und bunter, mein Haar konnte nicht rot und wild genug sein, mein Make-up kleisterte jegliche Mimik zu. Zum Schluss erkannte ich mich selbst nicht wieder.» Insofern sei die Zerstörung ihres hübschen Gesichts auch eine Befreiung gewesen: «Ab heute darfst du hässlich sein.»

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