Vierte Welle schon im August So stark hat das schlechte Wetter die Fallzahlen in die Höhe getrieben

tafu

4.9.2021

Der Sommer in der Schweiz war nicht so schön wie erhofft. 
Der Sommer in der Schweiz war nicht so schön wie erhofft. 
Bild: Keystone/Alexandra Wey

Ein enttäuschender Sommer neigt sich dem Ende zu, und die Corona-Zahlen steigen seit Wochen wieder an. Besteht hier ein Zusammenhang?

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Nun ist er da, der September, und der Sommer verabschiedet sich langsam, aber sicher. Moment mal, Sommer? War da was? Gefühlt hat die warme Jahreszeit gerade erst begonnen und von «heiss» kann in diesem Jahr auch nicht die Rede sein.

Das wird nun auch offiziell bestätigt: «Wie auch schon vielerorts im Juli waren die Temperaturen im vergangenen August im Norden gegenüber dem langjährigen Mittel von 1981 bis 2010 leicht unterdurchschnittlich», heisst es in der Wetterbilanz von meteonews.ch. Extreme Hitzetage seien nicht verzeichnet worden. Auch sei der August im Norden abgesehen von wenigen Ausnahmen zu bewölkt gewesen.

Im vergangenen Jahr sah das noch ganz anders aus: Der August 2020 war verbreitet zu warm, es wurden Höchsttemperaturen von 36 Grad erreicht. Auch eine Hitzewelle liess Anfang des Monats die Schweizerinnen und Schweizer schwitzen. Bemerkenswert ausserdem: «Die Sonnenscheindauer schliesslich war vielerorts leicht überdurchschnittlich», wie Meteonews analysiert.

Der Sommer 2020 machte nicht nur durch mehr Sonnenstunden von sich reden, auch die niedrigeren Corona-Infektionszahlen lassen ihn rückblickend weit besser erscheinen als seine diesjährige Ausgabe.

Zwischen Ende April und Mitte September bewegte sich die 14-Tages-Inzidenz stets unter 60. 2021 war das nur zwischen Mitte Juni und Mitte Juli der Fall, seither steigt die Kurve stetig an. Aktuell liegt die Inzidenz bereits wieder nahe der 400er-Marke.

Laborbestätigte Fälle, Schweiz und Liechtenstein, 24.02.2020 bis 30.08.2021, Pro 100'000 Einwohner*innen, (Stand: 31.08.2021)
Laborbestätigte Fälle, Schweiz und Liechtenstein, 24.02.2020 bis 30.08.2021, Pro 100'000 Einwohner*innen, (Stand: 31.08.2021)
Bild: BAG 

Besteht also womöglich ein Zusammenhang zwischen dem verregneten kühlen Sommer und den schnell steigenden Corona-Fallzahlen? Möglich ist das durchaus.

Mehrere Studien widmeten sich seit Beginn der Pandemie bereits der Frage, ob bei der Ausbreitung des Coronavirus die Saisonalität eine entscheidende Rolle spielt. Ist es tatsächlich so, dass warme Temperaturen dem Virus schaden, es sich dagegen in den kälteren Jahreszeiten stärker ausbreitet?

Sonne kann das Virus schädigen

Bekannt ist, dass bestimmte Faktoren die Aerosole, also die Tröpfchen, durch die das Virus übertragen wird, beeinflussen. So kann die Sonne, genauer gesagt die UV-Strahlung, die genetische Information des Virus beschädigen, wie die Virologin Stephanie Pfänder von der Ruhr-Universität Bochum im Gespräch mit der Nachrichtenagentur DPA verdeutlichte.

«Ganz grob kann man sagen, dass UV-Strahlung in der Lage ist, das Virus zu inaktivieren, indem die virale Nukleinsäure angegriffen wird.» Das Virus sei dann weniger infektiös.

Saisonale Wetterbedingungen spielen also eine entscheidende Rolle. Diese wurde bisher allerdings deutlich unterschätzt, wie eine Studie von zwei Physikern der Universität Nikosia auf Zypern herausfand.

Dimitris Drikakis und Talib Dbouk waren überzeugt, dass Wetterdaten wesentlich stärker in Modelle zur Ausbreitung des Virus einbezogen werden sollten. In der Studie, die Anfang Februar 2021 im Fachmagazin «Physics of Fluids» veröffentlicht wurde, haben die Wissenschaftler ein klassisches Modell zum Pandemie-Verlauf um einen Index erweitert, der Luftfeuchtigkeit und -temperatur sowie Windgeschwindigkeit berücksichtigt. 

Tröpfchen verdunsten im Sommer schneller

Diese Faktoren würden unter anderem beeinflussen, wie viele Erreger Speicheltröpfchen aufweisen, wie lange sich die Tröpfhcne in der Luft halten, bevor sie verdunsten, und wie weit sie sich ausbreiten können. Das Modell konzentriere sich dabei auf das Mikroklima in der Umgebung von infizierten Personen. Diese geben das Virus durch Husten, Niesen, Atmen oder Sprechen an ihre von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit beeinflusste Umgebung ab. 

Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass die häufig hohen Temperaturen im Sommer eher schlecht für das Virus seien. Bei grösserer Hitze nehme die Viruskonzentration aufgrund schnellerer Verdunstung ab, bei höherer Luftfeuchtigkeit und höheren Windgeschwindigkeiten steige sie dagegen an.

Mit herbstlichem Wetter steigt die Übertragbarkeit

So führe stürmisches und regnerisches Wetter bereits zu einer mittleren Übertragbarkeit, im Winter steige diese dann auf ein hohes Niveau. «Das Wetter spielt bei den Pandemie-Ausbrüchen eine wichtige Rolle», so die Schlussfolgerung der Forscher. 

Auch Forscher der Universität Oxford haben ein saisonales Muster bei der Ausbreitung des Virus festmachen können. Laut einer Studie, die Anfang August 2021 veröffentlicht wurde, sei das Coronavirus im Sommer wesentlich weniger ansteckend als im Winter.

Das Team um Studienleiter Jan Kulveit hatte nach Berichten von «Focus» Daten von insgesamt 143 Regionen in Europa ausgewertet und so versucht herauszufinden, welchen Einfluss die Saisonalität auf das Infektionsgeschehen habe.

So habe der R-Wert im Sommer um 42 Prozent niedriger gelegen als zum Höhepunkt des Winters. Die Saisonalität spiele also tatsächlich eine grosse Rolle.

Verhalten der Menschen hat grossen Einfluss

Schädliche UV-Strahlung, vermehrte Trockenheit, hohe Temperaturen oder Luftfeuchtigkeit – die möglichen Ursachen für die Saisonalität sind vielfältig. Warum sich das Coronavirus im Sommer weniger stark ausbreitet, kann noch immer nicht gänzlich geklärt werden. 

Ganz sicher spielen aber weitere Faktoren in das Infektionsgeschehen hinein. «Die Übertragung von Infektionskrankheiten ist ein dynamischer Prozess, der stark vom Verhalten der Menschen geprägt ist», verdeutlicht die Virologin Stephanie Pfänder in einem Fachartikel im «Ärzteblatt». 

Auch Faktoren wie grundlegende Hygiene, Anzahl und Dauer der Sozialkontakte, Aufenthalt im Freien oder in Räumen sowie Reisen spielten dabei eine Rolle. Schlechte Wetterverhältnisse steigerten die Aufenthaltsdauer in geschlossenen Räumen und begünstigen so die potenzielle Übertragung durch engere oder längere Kontakte. 

Und schlechtes Wetter hatten wir in diesem Sommer zur Genüge.