Jeder kann helfen Wie ein Schafhirte gegen den Klimawandel kämpft

AP/toko

17.8.2021 - 00:00

«Ich bin Hirte geworden, weil ich mich zusammen mit den kleinen Schafen der Gesellschaft verpflichten wollte, ein soziales Ziel jenseits der Produktion von Fleisch, Milch oder Wolle haben wollte», sagt Lukas Janssens.
«Ich bin Hirte geworden, weil ich mich zusammen mit den kleinen Schafen der Gesellschaft verpflichten wollte, ein soziales Ziel jenseits der Produktion von Fleisch, Milch oder Wolle haben wollte», sagt Lukas Janssens.
AP/Virginia Mayo/Keystone

Beim Klimaschutz ist es Fünf for Zwölf, warnt ein neuer UN-Bericht. Ob wir die Erderwärmung noch beschränken können, hängt vor allem davon ab, was Regierungen oder auch Unternehmen dagegen tun. Aber nicht alles. Immer mehr Einzelpersonen ergreifen in ihrem Umfeld die Initiative.

DPA, AP/toko

Lukas Janssens führt seine Herde auf den Friedhof von Schoonselhof, eine der schönsten Grabanlagen in Belgien, und lässt sie zwischen den Ruhestätten grasen – in dem Wissen, dass Schafe die Natur freundlicher behandeln als Rasenmäher. Die Begrenzung des Ausstosses von Kohlendioxid, einem der Hauptfaktoren beim Klimawandel, und die Förderung von biologischer Vielfalt sind zwei Schlüsselziele von De Antwerpse Stadsherder, dem Stadthirten von Antwerpen, wie Janssens' Firma heisst. «Wir werden es nicht mit einer Herde von Schafen bewältigen», sagt der 24-Jährige über die Erderwärmung. «Aber es ist ein weiterer Schritt zur Schaffung einer ökologischeren Gesellschaft.»

Tage nach dem jüngsten Klimabericht der Vereinten Nationen hallt die Botschaft von UN-Generalsekretär António Guterres weiter in Janssens nach: Der Temperaturanstieg auf unserem Planeten schreitet so drastisch voran, dass «Alarmstufe Rot für die Menschheit» herrscht. Richten sich Guterres' Worte primär an Regierungen und andere mit Einfluss auf die weitere Klimaentwicklung, zählt Janssens zur wachsenden Zahl von Menschen, die eine persönliche Verantwortung zum Handeln verspüren, indem sie es etwa ablehnen zu fliegen, ihr Essen umstellen oder freitags der Schule fernbleiben, um zu protestieren.



Janssens' Firma besteht aus einem Menschen und 270 Tieren. «Ich bin Hirte geworden, weil ich mich zusammen mit den kleinen Schafen der Gesellschaft verpflichten wollte, ein soziales Ziel jenseits der Produktion von Fleisch, Milch oder Wolle haben wollte. Ich wollte, dass sie nützlich sind», sagt der 24-Jährige über seine Herde, während die Tiere an den steilen Hängen eines Grabens grasen, der durch den ausgedehnten Friedhof verläuft.

Nichts von dem mag etwas ausmachen, zeigen die Staaten nicht ein ähnliches Verantwortungsgefühl, wenn sie sich im November in Glasgow zu ihrer nächsten Klimaschutzkonferenz treffen. Die Teilnehmer wollen über Massnahmen beraten, die globale Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum Ende des 19. Jahrhunderts, dem vorindustriellen Zeitalter, zu begrenzen. Doch bereits jetzt beträgt der Anstieg 1,1 Grad.

Don Quixotes des 21. Jahrhunderts

Was die Frage aufwirft: Sind Janssens und seine Herde Don Quixotes des 21. Jahrhunderts oder die Vorhut einer globalen grünen Revolution, die helfen könnte, die Erde vor einer Überhitzung zu schützen? Immerhin ist Janssens Geschäft dank grosser Nachfrage in den drei Jahren seines Bestehens rapide gewachsen, «es kann nicht schneller zulegen als es tut», sagt er. «Es ist mehr als ein Vollzeit-Beruf.»

Seine Wahl eines Beitrags mag nicht jedermanns Sache sein, aber Aktivisten sagen, so lange Menschen auch nur irgendetwas tun, können sie etwas bewegen. «Natürlich wird nicht jeder ein Hirte werden. Aber es ist grossartig, dass es eine derartige Vielfalt von Initiativen gibt», sagt Biotechniker Benjamin Clarysse von der Umweltschutz-Vereinigung BBL in Nordbelgien.

Die Herausforderungen, die im UN-Klimabericht aufgezeigt werden, sind riesig. Die Autorinnen und Autoren nennen es eine «feststehende Tatsache», dass der Klimawandel von Menschen erzeugt wird und warnen, dass die Erderwärmung bereits in den 2030er Jahren die 1,5 Grad-Marke überschreiten dürfte. Dürren, Hitzewellen, Brände, Starkregen und Überschwemmungen haben in den vergangenen Wochen und Monaten die Menschen in vielen Gebieten der Erde heimgesucht – und es droht noch schlimmer zu werden. Auch Belgien hatte es mit Überflutungen zu tun, das Wasser kam Janssens Stadtweiden bis auf 60 Kilometer nahe. 

Lukas Janssens und seine Herde.
Lukas Janssens und seine Herde.
AP/Virginia Mayo/Keystone

«Tropfen auf dem heissen Stein?»

«Ich kann mir vorstellen, dass bei Leuten ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit herrschte», sagt Pim Nusselder von Dutch Milieu Centraal, einer niederländischen Gruppe, die dafür wirbt, die persönliche Lebensweise möglichst auf Nachhaltigkeit umzustellen – von der Energieversorgung über Müll bis hin zum Einkaufen. Auch kleine Aktionen, wenn genügend Menschen sie ausführten, könnten sehr wohl die Erwartungen übertreffen, sagt Nusselder und nennt die Niederlande als Beispiel, wie es laufen könnte.

«Ich werde oft gefragt: Ist das, was ich tue, nicht ein kleiner Tropfen auf dem heissen Stein? Nun, wenn wir 17 Millionen Tropfen haben und jeder 10 nachhaltige Dinge tut, dann hast du 170 Millionen Tropfen auf dem heissen Stein. So löscht man Brände.»

Ein in diesem Jahr von der EU-Statistikbehörde veröffentlichter Bericht unterstreicht seine Sichtweise. Demnach hat das persönliche Engagement von Menschen im Kampf gegen den Klimawandel das höchste Ausmass seit 2011 erreicht. Greta Thunberg war anfangs ein einsamer Teenager mit ihren Soloprotesten vor dem schwedischen Parlamentsgebäude in Stockholm. Jetzt spricht sie auf UN-Konferenzen vor führenden Politikern und Geschäftsleuten und wird auf höchster Ebene gelobt, so etwa von Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission.

Aktivisten warnen indes, dass Politiker nicht die Verantwortung auf Einzelpersonen abschieben sollten. «Sie können nicht einfach sagen, dass jeder ein bisschen von der Arbeit übernehmen sollte», sagt Clarysse, der Biotechniker. «Sich auf den guten Willen von Menschen zu verlassen, bringt dich nicht ans Ziel.»