An der Schwelle des Todes «Kämpft weiter. Es lohnt sich.» – Überlebende macht Betroffenen Mut

AP

3.5.2020

Diane Wanten in Erinnerung an die düsteren Tage auf einer Intensivstation in der belgischen Stadt Hasselt.
Diane Wanten in Erinnerung an die düsteren Tage auf einer Intensivstation in der belgischen Stadt Hasselt.
Keystone/AP Photo/Francisco Seco

Hunderttausende sind bereits an Covid-19 gestorben. Viele Menschen haben eine Coronavirus-Infektion aber auch trotz schwerster Symptome überstanden. Eine von ihnen ist Diane Wanten. Nach Wochen des Leidens blickt sie nun wieder nach vorn.

Ihre Lunge war so angeschlagen, dass sie lange keine Luft bekam. Trotzdem blieb sie entschlossen. Zu viel hatte sie noch vor in ihrem Leben. Vor allem wollte sie ihren Mann nicht im Stich lassen. «Es ging mir immer wieder durch den Kopf: Ich muss das überleben. Ich möchte nach wie vor wieder zurück nach Hause kommen», sagt Diane Wanten in Erinnerung an die düsteren Tage auf einer Intensivstation in der belgischen Stadt Hasselt.

Die 61-Jährige war sich über den Ernst ihrer Lage im Klaren. Sie wusste, dass weltweit schon Zehntausende mit dem Coronavirus gestorben waren. Und mit etwas weniger Glück wäre auch sie womöglich zu einem Opfer der Pandemie geworden. Abends sei sie oft automatisch länger wach geblieben – «um sicherzugehen, dass ich noch am Leben war». Stets habe sie dann gehofft, «dass ich, bitte, am Morgen wieder aufwachen würde», sagt sie.

«Kämpft weiter. Es lohnt sich.»

Wenn sie in der Nacht aus einem Schlummer aufgeschreckt sei, habe sie manchmal halb in Panik überlegt, ob sie ihrem Mann auch wirklich genügend Tabletten in seine Schachtel gelegt habe, berichtet Wanten weiter. Der leide nämlich nicht nur seit vielen Jahren an Parkinson, sondern zeige inzwischen auch erste Anzeichen einer Demenz. Ohne ihre Hilfe komme er kaum noch zurecht.



Nach drei Wochen im Krankenhaus, davon 16 Tage auf Intensivstation, hatte die Belgierin das Coronavirus besiegt. Nun wartet sie im Haus ihres Sohnes darauf, wieder zu Kräften zu kommen. Ihr Mann ist auch dort. Umarmungen sind zwar nicht möglich – noch liegt sie in einem eigenen Zimmer weitgehend unter Quarantäne. Aber schon der regelmässige Blickkontakt ist viel wert.

Mit heiserer Stimme und immer wieder noch um Atem ringend versucht sie, andere Corona-Patienten zu ermutigen: «An euch alle: Kämpft weiter. Es lohnt sich», sagt sie. «Am Anfang ist es hart. Aber wenn ich mir das Resultat anschaue, rate ich allen: Gebt euer Bestes.»

Von Infektion eiskalt erwischt

Schon bevor die Ansteckung mit dem Coronavirus sie an die Schwelle des Todes brachte, hatte es Wanten nicht immer leicht gehabt. Sie arbeitete als Schuhverkäuferin und Putzfrau, heiratete einen Bergmann, dessen Vater aus Italien in die Kohle-Region im Osten Belgiens gekommen war.

Dass die örtlichen Minen nach und nach den Betrieb einstellten, war hart genug. Als ihr Mann 38 Jahre alt war, wurde bei ihm die Nervenkrankheit Parkinson diagnostiziert. Vor gut einem Jahr kam dann noch eine Demenz im Frühstadium hinzu. Wanten selbst kämpfte vor fünf Jahren gegen Krebs.



«Sie hat viel mitgemacht», sagt der Sohn Frederico Taramaschi. Die Coronavirus-Infektion erwischte seine Mutter trotzdem eiskalt. Sie hatte bereits Fieber und Husten gehabt und schien schon wieder auf dem Weg der Besserung zu sein. Doch eine Woche später kehrten die Symptome zurück. Die östliche Provinz Limburg ist in Belgien besonders stark von der Pandemie betroffen. Und Wanten war mittendrin.

Gedanken an den kranken Mann

Am 3. April ging es ihr schliesslich so schlecht, dass sie sich untersuchen lassen wollte. Bis sie im Jessa-Krankenhaus in Hasselt angekommen war, hatte sich ihr Zustand noch weiter verschlimmert. «Ich konnte dem Arzt überhaupt nichts sagen, weil ich keine Luft bekam», sagt die 61-Jährige.

Deswegen sei sie direkt in die Notaufnahme gebracht worden. Das Jessa-Krankenhaus, das zu den grössten des Landes zählt, befand sich zu diesem Zeitpunkt selbst in einer Ausnahmesituation. Innerhalb von 24 Stunden stieg die Zahl der Coronavirus-Fälle in Limburg von 257 auf 343.



In Todesangst und durch Medikamente benommen musste die Belgierin gerade in den ersten paar Tagen oft an ihren Mann denken. «Ich habe nicht alles von dem, was passiert ist, mitbekommen. Aber es schoss mir durch den Kopf: Was würde aus ihm werden?», sagt sie. «Er hatte immer gesagt: ‹Wenn du nicht mehr da bist, möchte ich auch weg sein.› Ich sagte mir: ‹Ich muss das überstehen, denn ich will wirklich nicht, dass wir beide sterben.›»

Kraft und Elan kommen zurück

Nach Wantens Einlieferung ins Krankenhaus kümmerten sich der Sohn und dessen Frau um den Ehemann. Zunächst war nicht auszuschliessen, dass auch der Vater infiziert sein würde. Doch das war für den Sohn kein Hinderungsgrund. «Ich musste nicht gross darüber nachdenken», sagt er. «Meine Eltern haben sich immer super gut um mich gekümmert.»



Anders als in so vielen anderen Fällen konnte die Familie schliesslich aufatmen. Wanten wurde von der Intensivstation in ein normales Krankenhauszimmer verlegt. Dann begann die Physiotherapie, was zunächst sehr anstrengend war. «Mir war schwindelig, konnte mein Gleichgewicht nicht finden und ich bekam nur schlecht Luft», sagt sie. Schon das Aufstehen war eine grosse Herausforderung. Sprechen konnte sie nur unter ständigem Keuchen.

Doch nach und nach kamen die Kraft und auch ihr Elan zurück. In der vergangenen Woche durfte sie dann aus dem Rollstuhl heraus und in das Auto des Sohnes steigen, um sich in vertrauter Umgebung weiter zu erholen. Nun wartet sie darauf, ihren Mann wieder in die Arme nehmen zu dürfen. Am Muttertag, also in etwa einer Woche, soll es soweit sein. «Es wird der schönste Muttertag sein, den ich je hatte», sagt Wanten, «oder den ich je haben werde».

Die Coronavirus-Krise: Eine Chronologie

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