Mini-Fürstentum in Italien«La bella Nina» – eine Regentin noch ohne Reich
Von Frederick Mersi und Annette Reuther, dpa
6.9.2020
Eigentlich ist Nina Menegatto Immobilienverwalterin. Doch in ihrer Freizeit regiert sie ein selbst ernanntes Mini-Fürstentum in Italien. Was manche als Touristenspektakel sehen, ist für «la Principessa» eine ernste Sache.
Dass sie sich Prinzessin nennen darf, hat Nina Menegatto zumindest teilweise ihrer Tierliebe zu verdanken. «In Monaco gibt es keinen Garten», sagt sie einen Tag nach ihrer feierlichen Krönung. «Deswegen sind wir vor 18 Jahren nach Seborga gekommen.»
In dem italienischen Bergdorf fand Menegatto Platz für ihre Tiere und eine neue Aufgabe: Die 41-Jährige herrscht als Prinzessin über das Dorf mit rund 300 Einwohnern nahe der französischen Grenze. Denn Seborga sieht sich als Fürstentum – und Menegatto soll den Weg zur Unabhängigkeit ebnen.
Eigene Währung, eigene Flagge
«Am Anfang fand ich das auch ganz witzig», sagt Menegatto. Doch die Geschichte des Dorfs und die Begeisterung der Menschen habe sie fasziniert: eine eigene Hymne, eine eigene Währung, eine Flagge und ein vom Volk gewählter Herrscher.
Auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte habe Seborga 2012 seine Unabhängigkeit eingeklagt, sagt Menegatto. Das Ganze sei aber an einer schlechten Vorbereitung gescheitert. Trotzdem soll zumindest einer der zahlreichen Auslandsvertreter des Fürstentums offiziell als Konsul anerkannt worden sein – von der Elfenbeinküste.
In Seborga sind viele der Meinung, eigentlich nie zu Italien gehört zu haben – unter anderem, weil eine Kaufurkunde des Königs von Sardinien aus dem Jahr 1729 nie registriert worden sei. Herausgefunden haben will das der erste Regent des modernen Fürstentums, ein geschichtsbegeisterter Blumenhändler namens Giorgio Carbone. Unter seiner Ägide gab sich das Bergdorf 1995 eine eigene Verfassung, führte den «Luigino» als Währung ein und gab Autokennzeichen des Fürstentums aus.
Mit grosser Mehrheit gewählt
«Die Einheimischen hier glauben daran», sagt Menegatto. Neun Jahre lang war sie «Aussenministerin» des Mini-Fürstentums, mit ihrem damaligen Mann Marcello als «Regierungschef». Nach der Scheidung und Marcellos Rücktrittsankündigung kandidierte die Immobilienverwalterin – die ursprünglich aus dem Allgäu stammt – als seine Nachfolgerin. Mit grosser Mehrheit (200 von 280 Stimmen) wurde sie 2019 zur ersten Fürstin Seborgas gewählt. «La Principessa» lebt nun in dem kleinen Ort in Ligurien.
Die Krönung mit feierlichem Schwur, Schwert und Krone fand am 20. August statt, dem Nationalfeiertag Seborgas. Die italienische Presse taufte sie «La bella Nina». «Das war sehr aufregend», sagt Menegatto, die akzentfrei Italienisch spricht.
«Ich wollte das Rampenlicht eigentlich nie, daran muss ich mich noch gewöhnen.» Aber die Aufmerksamkeit sei gut für das Dorf: «Seit ich gewählt wurde, kommen viel mehr Touristen hierher.»
Auch Seborgas rechtlich anerkanntes Oberhaupt, Bürgermeister Enrico Ilariuzzi, schätzt diese Tatsache am selbst ernannten Fürstentum: «Wir haben als Kommune ein Interesse daran, unsere Vergangenheit sichtbar zu machen und den Tourismus zu fördern», sagt er. Deshalb arbeite er auch mit der neuen Prinzessin zusammen. Touristen aus ganz Europa kämen nun in das Bergdorf.
Kein zweites Monaco
Was das Streben der Seborgini nach Unabhängigkeit angeht, hat Ilariuzzi aber eine klare Position: «Wir sind ein italienischer Ort und es werden Steuern für Italien abgegeben.» Für die tatsächliche Verwaltung sei die Kommune zuständig, nicht das Fürstentum. «Manche denken, Seborga ist wie Monte Carlo», sagt Ilariuzzi. «Das stimmt aber nicht.»
Zur Krönung der neuen Prinzessin sei er nicht gekommen – wegen einer «privaten Verpflichtung».
Für Nina Menegatto ist das Fürstentum mehr als nur eine Touristenattraktion. Sie will mit ihrem zehnköpfigen Ministerrat die Verfassung Seborgas modernisieren und eine neue Klage zur Unabhängigkeit anstrengen. «Das ist ein langer Weg», sagt Menegatto. «Aber nichts ist unmöglich. Siehe Brexit.»
Touristen sind wichtiger als die Unabhängigkeit
In Rom sieht man diese Bestrebungen offenbar gelassen: Das Ministerium für Regionen äussert sich zwar nicht zum Thema, tut aber auch nichts, um die kuriosen Aktivitäten im Bergdorf einzuschränken.
Das liegt auch daran, dass Prinzessin Nina und ihr «Aussenminister» Luca Pagani betonen, sich vorerst weiter an die Regeln des italienischen Staats halten zu wollen. «Das Fürstentum und die Kommune haben beide das Wohl Seborgas zum Ziel, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln», sagt Pagani, der eigentlich in der Handelsabteilung der Pasta-Firma seiner Familie arbeitet. Dass das Fürstentum viele Touristen nach Seborga bringe, sei für die Kommune wichtiger als die Diskussion um die Unabhängigkeit des Dorfes.
Weitere Besucher soll auch ein Grossprojekt des Fürstentums nach Seborga bringen: Prinzessin Ninas Regierung will ein Luxushotel bauen lassen, die Pläne dafür liegen seit drei Jahren in der Schublade. Bisher gebe es nur ein Bed and Breakfast im Dorf, sagt Menegatto.
Regierungstreffen, Unabhängigkeit und Hotelpläne: Darum kümmern sich Nina Menegatto und ihre «Minister» in ihrer Freizeit, Geld bekommen sie dafür keines. «Das ist kein Zuckerschlecken», sagt Menegatto. Trotzdem gebe es etwas Wichtigeres als ihre Position als Prinzessin: als Vollzeit-Mama für ihre Tochter da zu sein.
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