Im Stich gelassen Leben mit Ratten und Gewalt: Hausbesetzer in Johannesburg

Cara Anna, AP

20.5.2018

Zehntausende Menschen haben sich in verlassenen Häusern in der Innenstadt von Johannesburg eingerichtet – oft unter unsäglichen Bedingungen. Der Stadt sind die Hausbesetzer ein Dorn im Auge, nach einer Lösung wird noch gesucht.

Die Ratte stoppt kurz ab, bevor sie unter einer Pritsche verschwindet. Irgendwo in dem grossen und überfüllten Zelt schreit ein neugeborenes Baby. Draussen drängen sich Frauen um ein Feuer zusammen, Kochstelle bei Tag, Wärmequelle bei Nacht.

«Das ist mein Zuhause», sagt Alisa Jozana mit ironischem Lachen und breitet demonstrierend die Arme aus. Das Zuhause der 37-Jährigen ist das schmale Sofa, auf dem sie sitzt. Seit Juli sei sie schon hier, erzählt sie. «Niemand kümmert sich um uns. Niemand.»

Die Ansammlung von Zelten am Rande eines Sportfelds von Johannesburg zählt für die Stadtverwaltung als angemessene Übergangsunterkunft, bis eine Lösung zur dauerhaften Unterbringung gefunden ist. Mehr als 200 Menschen leben hier, seit sie aus der Innenstadt vertrieben wurden. Sie hatten, so erklären es die Behörden, leerstehende Häuser unberechtigterweise besetzt.

Zehntausende verarmte Menschen haben in verlassenen Gebäuden quer durch die südafrikanische Metropole Unterschlupf gefunden. Manche Schätzungen gehen von bis zu 100'000 solcher Hausbesetzer in der Stadt aus, die zu den wohlhabendsten des Kontinents, aber nach Zahlen der Weltbank auch zu denen mit dem grössten sozialen Gefälle zählt.

Schandfleck für das Image der Stadt

«Die Stadt kann die Besetzung von 432 Gebäuden seit März bestätigen», erklärt die Verwaltung von Johannesburg per E-Mail. Der Bürgermeister arbeite aber daran, Lösungen zu finden, «um unseren ärmsten Mitbürgern die Würde zurückzugeben», heisst es.

Die Menschen leben in Armut und Gefahr: Erst im vergangenen Monat kamen drei Kinder ums Leben, weil eine Mauer in dem Gebäude einstürzte, in dem ihre Familien mit rund 300 Leidensgenossen wohnten. Über Monate hinweg hatten die Bewohner zuvor an die Stadt appelliert, für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Die Behörden hätten sie aber im Stich gelassen, sagen Anwälte.

Für das Image der Stadt sind die heruntergekommenen Häuser ein Schandfleck, die die Stadtverwaltung lieber heute als morgen loswerden würde. Geplant ist eine Neubelebung der Innenstadt. Da bleibt kein Raum für die Hausbesetzer. Die Gebäude sollen Vorschlägen zufolge enteignet und private Investoren für die Stadtentwicklung gewonnen werden.

Bei einer Reihe zerfallender Häuserblöcke in der 4,4-Millionen-Einwohner-Stadt ist dies schon gelungen. Hier entstanden Komplexe mit Galerien und Cafés, die neues Leben in die Innenstadt bringen sollen, der in den Endjahren der Apartheid viele Bewohner den Rücken gekehrt hatten.

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Verschärfte Rhetorik und Ausländerhetze

Was die Lage für die vielen Hausbesetzer erschwert, ist die neue Tonlage von Bürgermeister Herman Mashaba, der erklärt hat, bei den meisten handele es sich um Migranten. Damit hat er einerseits die Fremdenfeindlichkeit in der Stadt angeheizt, die sich immer wieder in gewaltsamen Angriffen auf Ausländer aus Nachbarländern entlädt. Andererseits hat er signalisiert, dass bei weitem nicht alle auf Hilfe hoffen können. Für Ausländer sei die Stadt nicht verantwortlich, hat er betont.

Für die Menschenrechtsorganisation Seri drückt er sich damit nicht nur vor der Verantwortung, sie hält es für schlicht verantwortungslos: Direktor Stuart Wilson spricht von einer «äusserst unglücklichen Rhetorik». Bei den Hausbesetzern, die Seri vertritt, handele es sich zu rund 80 Prozent um Südafrikaner.

Auch das Verfassungsgericht hat den Stadtentwicklungsplänen Hürden vorgesetzt. Die Richter entschieden im vergangenen Jahr, dass die Häuser nicht geräumt werden dürften, wenn den Menschen keine angemessene Alternative angeboten werde. Was als solche zählt, daran scheiden sich aber die Geister.

Ausserdem sehen die Pläne der Stadt für dieses Jahr gerade einmal 364 neue Betten in Übergangsunterkünften vor, wie Seri erklärt. «Das ist nur ein Bruchteil dessen, was benötigt wird.» Der Staat solle stattdessen Wohnraum zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung stellen, fordert Wilson. Die Stadt sei allerdings nicht besonders erpicht auf Sozialwohnungen, fügt er hinzu. Den Behörden zufolge fehlen 300'000 Wohneinheiten.

«Das ist kein Leben hier.»

In den besetzten Häusern sind die Menschen derweil weiter in einem Schwebezustand. Zehntausende harren unter oft unsäglichen Bedingungen aus, ohne Wasser und Strom - und der ausufernden Kriminalität in der Stadt ausgesetzt.

«Das ist kein Leben hier», sagt die 34-jährige Siphokazi Siyaya, die seit acht Jahren mit etwa 200 weiteren Menschen in einem der Gebäude wohnt. Wo Toiletten fehlen, werden Eimer genutzt. Zur Beleuchtung werden Kerzen angezündet, trotz der Brandgefahr. Die Fenster sind mit Lumpen ausgestopft, um Wind und Kälte abzuhalten.

Immer wieder steigt auch die Aggression hoch. Armut und Enge brechen sich Bahn. «Manchmal kommt es zu Kämpfen, zu Schiessereien vor den Augen unserer Kinder», sagt die dreifache Mutter Siyaya. «Wir wollen doch nur, dass sie sicher aufwachsen können.»

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