Recht auf Bildung Sechsjährige Ägypterin verklagt Ministerium und gewinnt

phi

11.10.2021

Schülerin in Kairo: Eine Sechsjährige hat das ägyptische Erziehungsministerium verklagt – und gewonnen.
Schülerin in Kairo: Eine Sechsjährige hat das ägyptische Erziehungsministerium verklagt – und gewonnen.
Symbolbild: KEYSTONE

Nach einem Umzug wollte die neue Schule die Sechsjährige nicht in der 2. Klasse aufnehmen. Das ägyptische Mädchen sparte 100 Pfund für eine Klage – und bekam nicht nur recht, sondern auch Schadenersatz.

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Das Mädchen vom Lande hat sich nicht irgendjemanden ausgesucht, um vor Gericht zu ziehen. Die Sechsjährige hat gegen das ägyptische Ministerium für Erziehung verklagt. Ihr Vorwurf: Sie habe unrechtmässig nicht in die 2. Klasse gehen dürfen.

«Ich liebe das Lernen und bin gut in der Schule. Ich kann auch sehr gut malen: Das sind meine Bilder», sagt das Mädchen mit den Initialen H. H. S. im Verwaltungsgericht von Alexandria und zeigt Richter Mohamed Abdel-Wahab Khafagi ihre Arbeit.

Als sie «fünf Jahre und mehrere Monate» alt war, habe sie die 1. Stufe in ihrer Schule im Wadi al-Natrun gemeistert und sei sogar Klassenbeste gewesen. Dann aber habe ihr Vater ins Dorf Abu El Matamir zügeln müssen, wo ihr der Rektor beschieden habe, dass sie zu jung für die 2. Klasse sei.

Das Wadi al-Natrun am Rande der Wüste.
Das Wadi al-Natrun am Rande der Wüste.
Karte: Google Earth

«Ich wollte meinem Vater nicht die Kosten aufbürden»

«Er sagte mir, ich müsse entweder die 1. Klasse wiederholen oder jeden Tag in die Schule von Wadi al-Natrun laufen. Da habe ich meinem Vater gesagt, dass wir zum Richter gehen müssen», zitieren ägyptische Medien das Mädchen.

Neue Heimat: Heute lebt das Mädchen im Dorf Abu El Matamir.
Neue Heimat: Heute lebt das Mädchen im Dorf Abu El Matamir.
Karte: Google Earth

Dem so angesprochenen Richter ist jedoch eines noch nicht klar: «Was hat dich ein ganzes Jahr mit der Klage warten lassen, um die Schule zu zwingen, dich in die 2. Klasse zu lassen?», will Abdel-Wahab Khafagi wissen. Eine gute Frage, doch die Antwort ist noch besser.

«Ich wollte meinem Vater nicht die Kosten meines Falls aufbürden. Er ist ein Bauer und verdient nicht viel», erklärt H. H. S. «Aber ich, Herr Richter, habe in einem ganzen Jahr 100 Pfund von meinem Taschengeld gespart, was mich gezwungen hat, die 1. Klasse zu wiederholen.» 100 ägyptische Pfund entsprechen 5.90 Franken.

Ehrlich währt am längsten

Diese Ehrbarkeit dürfte – neben Recht und Gesetz – den Ausschlag für das Verdikt gegeben haben. «Ein Mädchen zu zwingen, trotz ihres Erfolgs im Vorjahr die 1. Klasse zu wiederholen, widerspricht modernen, wissenschaftlichen Grundlagen. Von einer Bildungsstufe auf die nächste zu springen, darf nur von den Prinzipien des Verdiensts und der Qualität abhängen, nicht vom Alter der Schülerin», befindet der Richter.

Da das Kind mittlerweile in der zweiten Klasse ist, bleibt dem Gericht nur noch, der Klägerin Schadenersatz zuzustehen: Das Erziehungsministerium muss H. H. S. 3000 ägyptische Pfund zahlen, was umgerechnet knapp 177 Franken entspricht.

Die Reaktion der Kleinen passt ins Bild. «Ich will nur meine 100 Pfund. Mein Vater soll den Rest nehmen», wird die Gute zitiert.