In der Opéra de Lausanne inszeniert Max Emanuel Cencic, einer der besten Countertenöre, "La donna del lago" von Gioachino Rossini. Er steht auch in einer Hauptrolle auf der Bühne. Grandios.
Mit seiner 1819 für Neapel komponierten Oper "La donna del lago" initiierte Gioachino Rossini eine Serie von Bühnenwerken nach literarischen Vorlagen von Walter Scott. Er etablierte damit das neu aufkommende Genre der romantischen Oper, dem in der Folge unzählige Komponisten huldigten, darunter, als berühmtestes Beispiel, Donizetti mit "Lucia di Lammermoor". Werke, die in der ossianischen Tradition stehen und in denen sich musikalische Naturschilderung mit (Pseudo-)Historie, Nebulösem und Übersinnlichem verbindet.
Zentrale Bedeutung kommt dabei der liebend-leidenden Frau zu, einem von männlichem Machtanspruch dominierten Wesen, das sich nur durch Traum, Wahnsinn oder gar Tod der feindlichen gesinnten Umwelt entziehen kann.
Ob es schliesslich diesem in Töne gesetzten Eskapismus zu verdanken ist, dass "La donna del lago" im letzten Jahrzehnt vermehrt den Weg auf die Bühne gefunden hat, bleibe dahin gestellt. Jedenfalls wurde das sperrige Werk in jüngster Zeit in Genf, Mailand, Paris, Wien London und eben jetzt in Lausanne (in Kooperation mit dem Nationaltheater Zagreb) realisiert. Und dies obwohl die Opera seria mit ihrer abstrusen Geschichte manch szenische Klippe bereithält.
Eine Frau zwischen drei Männern
Die im 16. Jahrhundert spielende Geschichte erzählt von Elena, der "Frau vom See", die zwischen drei Männern steht: Dem als Jäger Uberto getarnten König James V., dem sie als bezaubernde Waldfee erscheint. Dem vom Vater zum Gatten bestimmten, aber ungeliebten Rodrigo, einem Anführer des anti-royalistischen Highland-Clans. Und schliesslich ihrem Geliebten, Malcolm, der sich aus Liebe den Aufständischen angeschlossen hat. Rodrigo fällt im Zweikampf, der König leistet Verzicht und gibt den Liebenden seinen Segen.
So weit, so gut. Max Emanual Cencic, einem der schillerndsten und unkonventionellsten Künstler seines Fachs, scheint die Geschichte offenbar zu einfach. Oder zu vertrackst? Denn er zeigt sie als Hirngespinst, als Vision oder Ausgeburt einer von der Drangsal der Realität gemarterten Seele.
Elena, eine grossbürgerliche Dame in blutroter Robe, steht sinnend vor einem in Gold gefassten, symbolistisch gefärbten Kolossalgemälde im Stil von Füssli oder Moreau, getaucht in diffus-goldenes Caravaggio-Licht. Die Vertikale wird von einer balustradengesäumten Empore gegliedert, zu der eine Wendeltreppe hinaufführt. Säulen, Lüster, Palmen, Gardinen, plüschige Möbel vervollständigen das Bild eines 19ème-Siècle-Salons.
Scotts Epos lesend versetzt sich nun Elena in dieses Bild und erträumt, was offenbar der wohlanständige Alltag nicht hergibt. Das Gemälde tut sich auf, wird zur bühnenumspannenden Szenerie, doch am Schluss verengt es sich wieder: Der ungeliebte Rodrigo, inzwischen ihr Gatte, sitzt am Tischchen, blättert unbeteiligt in der Zeitung, trinkt Tee. Schlimmer konnte es nicht kommen!
Optischer Overkill
Zwischen dieser stringenten Rahmenhandlung entwickelt die Regie – vor allem die massiv eingesetzten Videos (Étienne Guiol) – einen Overkill, der die Aufmerksamkeit arg strapaziert. Da wabern Erotik, Naturstimmung, Chimären und Erscheinungen, Wolken, Wasser und Wälder in ungebremster Flut. Raffiniert geschnitten, aber weniger wäre mehr, zumal sich auch auf der überfüllten Bühnen einiges tut. Da räkeln sich barbusige Nutten, wird am Spieltisch gezockt, findet ein Boxkampf mit k.o.-Schlag statt - und wird dauern Staub gewischt.
Ausschlaggebender für die Wiederbelebung dürfte wohl der Umstand sein, dass die vier extremen Partien, die das Melodrama erfordert, heutzutage toll besetzt werden können, was auch die aktuelle Lausanner Produktion ohne Einschränkung zeigt.
Getragen vom griffigen, aber allzeit federnden Orchesterklang (am Pult: George Petrou) lassen die Sängern sowie der präzis agierende Chor keine Wünsche offen. Lena Belkina (Elena) überzeugt mit warmem, vollem Klang. Die Tenöre, Daniel Behle als Uberto und Juan Francisco Gatell als Rodrigo, meistern ihre mit Koloraturen und hohen Tönen gespickten Partien souverän.
Ein vokales Glanzlicht bietet Cencic selbst. Er gibt die ursprünglich für Mezzosopran konzipierte Hosenrolle des Malcolm, die somit erstmals von einem Mann gesungen wird. Sein draufgängerischer, kerniger und durchaus viriler Altus passt hervorragend zu dieser Rolle: eine Stimme, die - man möchte fast sagen - in vielen kupferfarbenen Schattierungen funkelt und leuchtet.
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