Südafrika Mit Polizei zum Unfallort: Gefährlicher Job für Südafrikas Sanitäter

Kristin Palitza, dpa

22.6.2018

Sie wollen Leben retten und müssen dabei ihr eigenes aufs Spiel setzen. Sanitäter in Südafrika sind aufgrund hoher Kriminalität und wegen Bandenkriegen grossen Gefahren ausgesetzt.

Rettungssanitäter Quinton Hendricks hat seine Schicht beendet. Gerade eben hat er noch einen Mann für tot erklärt, während um ihn herum Schüsse fielen. Jetzt sitzt er vor einer Tasse Kaffee. «Wir werden fast jeden Tag mit Gewaltübergriffen konfrontiert.» Ihn könne fast nichts mehr schockieren. Hendricks arbeitet für den medizinischen Notdienst der südafrikanischen Westkap-Provinz, in der die Touristenmetropole Kapstadt liegt, in der auch jedes Jahr Tausende Deutsche Urlaub machen.

Besonders in den Gegenden rund um Kapstadt, in denen Verbrecherbanden aktiv sind, ist es gefährlich für Sanitäter, zu einem Unfallort zu fahren. Denn dort treffen sie nicht nur auf Opfer von Gewalt, sondern sind oft selbst Gewaltverbrechen ausgesetzt, sagt Noel Desfontaines, Generalsekretär der südafrikanischen Gewerkschaft für Gesundheitsmitarbeiter (Hospersa). Allein im Westkap gebe es jährlich mehr als 100 Übergriffe auf Krankenwagen.

Sanitäter werden mit vorgehaltener Waffe ausgeraubt, mit Messern bedroht. Die Täter stehlen alles: Handys, Bargeld, medizinische Geräte und die Fahrzeuge selbst. Im November erlag Medienberichten zufolge ein achtjähriger Junge seinen Kopfverletzungen auf dem Weg ins Krankenhaus, als der Krankenwagen mit Ziegelsteinen angegriffen und die Besatzung mit Waffen bedroht wurde.

Südafrika gehört zu den gewalttätigsten Ländern der Welt. Nach Regierungsangaben wurden 2017 mehr als 19 000 Menschen ermordet, rund 140 000 Menschen mit Waffengewalt beraubt und 156 000 Menschen Opfer von Gewalt.

Daher dürfen Sanitäter nachts nur noch unter Polizeischutz in von Gangs kontrollierte Gegenden fahren. Im Westkap gibt es 15 solcher «roten Zonen», in denen Gewaltverbrechen zum Alltag gehören. Auch in anderen Regionen Südafrikas werden Übergriffe auf Rettungspersonal immer häufiger, so Hospersa. Für Unfallopfer bedeutet das oft lange Wartezeiten, bis ein Krankenwagen kommt. Das kann zwischen Leben und Tod entscheiden. Wenn ein Notruf kommt, müssen Sanitäter erst auf eine Eskorte warten, aber die steht nicht immer sofort zur Verfügung.

Doch die Lage in den «roten Zonen» ist so brenzlig, dass Sanitätern keine Wahl bleibt. Rajendra Laljith hatte mit seiner Kollegin Tabisa Saliwa gerade vor einem Haus angehalten, aus dem ein Notruf kam, als sich bewaffnete Männer ihrem Krankenwagen näherten. Einer von ihnen riss die Hintertür auf, doch Laljith drückte aufs Gas und fuhr davon, bevor jemand ins Auto springen konnte.

Ein anderes Mal mussten Laljith und Saliwa von fünf Polizeiautos zu einem Unfallort begleitet werden, an dem sich ein blutiger Bandenkrieg abspielte. Es dauerte 90 Minuten, bis sich der Schusswechsel soweit beruhigt hatte, dass die Sanitäter einem Mann mit mehreren Schussverletzungen helfen konnten.

Laljith, der den Job seit 31 Jahren macht, sagt, er könnte endlos solche Beispiele aufzählen. Und mit jedem Jahr werde die Situation schlimmer. In «roten Zonen» könnten Sanitäter sich nachts nur wenige Meter vom Krankenwagen wegbewegen, so Laljith. «Wir lassen uns die Patienten zum Krankenwagen bringen und fahren erst in Sicherheit, bevor wir sie stabilisieren.» Das sei ein schwieriger Kompromiss, da manchmal jede Minute zähle, aber es sei schon unzählige Male vorgekommen, dass Sanitäter in Häusern ausgeraubt oder angegriffen worden seien, erzählt Laljith.

«Die Gefahr ist Teil des Jobs», meint Laljith. «Man muss ständig auf der Hut sein.» In den Anfangsjahren sei er nervös und gestresst gewesen, erinnert sich Laljith, aber mittlerweile sei die ständige Gefahrenlage zur Normalität geworden.

Die Gewerkschaft Hospersa fordert seit Monaten vom Gesundheitsministerium bessere Sicherheitsvorkehrungen für die Mitarbeiter der Rettungsdienste. «Unsere Sanitäter sind verpflichtet, der Gesellschaft zu dienen, aber die Umstände, in denen sie arbeiten müssen, sind unzumutbar», beschwert sich Desfontaines.

Hospersa fordert, dass Sanitäter im Umgang mit Gewalt geschult und eventuell sogar mit Waffen ausgestattet werden. Zusätzlich zur Polizei soll auch das Militär eingeschaltet werden.

Trauma-Beratung steht für die Sanitäter an der Tagesordnung. Und trotzdem setzen sich Frauen und Männer wie Hendricks, Laljith und Saliwa jeden Tag wieder in Krankenwagen, um Menschenleben zu retten. «Meine Frau hat jeden Tag Angst, dass ich nicht nach Hause komme, aber ich helfe einfach gern», sagt Hendricks, ein vierfacher Vater.

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